Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
abgesehn und berechnet, die Ueberzeugung zu erwecken, daß gar nichts unsers Strebens, Treibens und Ringens werth sei, daß alle Güter nichtig seien, die Welt an allen Enden bankrott, und das Leben ein Geschäft, das nicht die Kosten deckt; – auf daß unser Wille sich davon abwende.[ 73 ]
Die Frage, die sich im «Buch der Leiden» stellt, ist eine der ältesten, die der Religion wie der Literatur gemeinsam ist; es ist jene existentialistische, von Freud als krankhaft bezeichnete, von Paul Tillich[ 74 ] erst dem dritten Stadium der Angst zugerechnete, im 20. Jahrhundert zentrale Frage Hamlets: die Frage nach dem Sinn angesichts der offenkundigen Sinnlosigkeit des Weltengeschehens. Die Antwort, die Attar in seinen Gleichnissen andeutet, erscheint in vielerlei Hinsicht modern: zunächst in ihrer rückhaltlosen Negativität, in der Sehnsucht nach einer Versöhnung, die nicht beschrieben wird, präziser noch wegen ihres Beckettschen Sarkasmus, ihrer Schopenhauerschen Skepsis, ihres nüchternen Blicks auf die Welt und der Beweggründe ihrer Bewohner. Ein Mann wird nach dem höchsten Namen Gottes gefragt.
– Brot, antwortet er.
Der Fragende ist entsetzt, doch der andere erklärt, daß er in Nischapur eine Hungersnot miterlebt habe. Vierzig Tage habe er in der Stadt verbracht, ohne je den Ruf zum Gebet gehört, ohne auch nur eine einzige Moschee offen vorgefunden zu haben. Statt dessen hätten alle nur nach Brot geschrieen:
– Seitdem weiß ich, daß der höchste Name Gottes «Brot» ist. (29/6, 267)
Ein feiner Herr hält sich bei der Latrine die Nase zu.
– Laß den Unsinn! ruft ein Narr ihm zu. Bald schon, ganz bald, werden sie dir genau das gleiche bringen und sagen: Iß! Halt dir also die Nase nicht zu vor dem, was du morgen mit Freuden essen wirst.
In Kot verwandeln die Menschen selbst Gottesgaben.
Und glauben noch, sie dürften nach Herrschaft streben.
(17/3, 184)
So vertraut einem heutigen Leser die Landschaft aus Themen, Motiven und Geisteshaltungen erscheint, die sich in dem Buch ausbreitet, ist sie doch zugleich fremd. Seine Empörung, seine Gott- und Weltanklagen, sein metaphysischer Jammer fallen so radikal aus, wie es in kaum einem modernen Text sich finden ließe, und zwar aus einem einsichtigen Grund: Gott ist noch omnipräsent. Von der Literatur der Moderne unterscheidet sich «Das Buch der Leiden» am deutlichsten durch seinen religiösen Furor. Dieser macht das Leidenschaftliche wie Exaltierte der Auflehnung aus, das Maßlose und Spinnerte, den heiligen Zorn und die verzweifelte Häresie. Eben weil Gott noch als uneingeschränkte, unzweifelhafte und vor allem ersehnte und vergebens geliebte Realität empfunden wird, sind die Enttäuschung und Wut konkret; sie richten sich nicht auf ein allgemeines Weltenschicksal, sondern auf jenen als gerecht und barmherzig verkündeten Schöpfer, dem der Mensch seine Qual zu verdanken hat. «Das Buch der Leiden» verwirft die Möglichkeiten, die die abrahamitischen Religionen gefunden haben, um Gott von der Verantwortung für das Böse freizusprechen. Sie möchte ich im folgenden Kapitel zunächst zusammenfassen, um den geistigen Kontext und die Eigenheit Attars zu verstehen.
4. Der Aufstand gegen Gott
Das Hiob-Motiv
Bekanntlich beginnt das Buch Hiob mit einer Wette: Satan behauptet, daß selbst der Gottesfürchtigste unter den Menschen, Hiob, sich von Gott abwendet, sobald er ernstlich in Not gerät. Um das Gegenteil zu beweisen, erteilt Gott Satan die Erlaubnis, Hiob ins Verderben zu stürzen. Daraufhin raubt Satan Hiob alles Vieh und die Knechte, erschlägt die Söhne und Töchter Hiobs – dennoch hält Hiob Gott die Treue: «Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; der Name des Herrn sei gelobt!» (1,21) Der Teufel gibt nicht auf und schlägt Hiob mit bösen Geschwüren von der Fußsohle bis zum Scheitel und vertreibt ihn aus dem Haus. Der einst von allen verehrte, so fromm wie glücklich gewesene Hiob: nackt auf Asche, die Kinder ermordet, das Haus geraubt, von offenen Geschwüren überzogen, in der Hand sein einziger Besitz, eine Tonscherbe, mit der er sich tagein, tagaus kratzt, ohne sein Jucken zu lindern – das ist eines der beunruhigendsten Bilder der Weltliteratur, führt es doch vor Augen, daß es jeden treffen kann, anders als in der Tragödie ohne jede Notwendigkeit, ohne Logik, willkürlich, zufällig, sinnlos.
Noch hört Hiob nicht auf, Gott zu vertrauen, mag seine
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