Der Schrecken verliert sich vor Ort
Tereza Tabor klingeln und sagen: Ohne Angst vor Widerhall, singt ganz leis’ die Nachtigall. Er sah sich um, die Luft war rein. Er öffnete die Tür zum Treppenhaus und sah sie, die beiden Gestapoleute, die auf ihn warteten. Er blieb stehen, grüßte, weglaufen hätte ihn verdächtig gemacht. Am Anfang waren sie freundlich. Wie heißt du, mein Junge? Wo wohnst du, mein Junge? Er sagte seinen Namen. Zu wem willst du? Zu niemanden, er habe sich nur kurz unterstellen wollen, weil es regnete. Ach, unser Knäblein will nicht nass werden! Dann schlug ihn der Kleinere der beiden, der polnisch sprach, so hart ins Gesicht, dass er gegen die Treppenhauswand knallte und auf den Boden sackte. Das Krachen meines Schädels, sagte Leszek, höre ich noch heute. Es klang so dumpf als wäre eine Kokosnuss vom Baum gefallen.
Sie traten ihm in den Rücken, in die Nieren, zwischen die Beine und besonders oft gegen die Ohren, während ihm die geheimnisvolle Botschaft durch den Kopf ging, die er übermitteln sollte. Ohne Angst vor Widerhall, singt ganz leis die Nachtigall . Hieß das, jemand hatte ›gesungen‹. War das eine Warnung? Wer schickt dich, schrie der Mann, der polnisch sprach. Leszek war kein Held. Er verriet nur deshalb keinen Namen, weil er vor Schmerz nicht sprechen konnte, aber sie wussten ohnehin, zu wem er wollte, Tereza Tabor war längst abgeholt worden. Sie schleiften Leszek auf die Straße und warfen ihn wie einen Sack auf die Pritsche des Lieferwagens, den sie in der Toreinfahrt versteckt hatten. Er weinte, er hörte sich winseln: Mama, Mama, Mama. Dann hörte er eine Stimme, so schwach wie von einer Maus: Glückwunsch, Kumpel. Er kannte die Stimme, er öffnete vorsichtig ein Auge. Es war Karol, sein Schulfreund. Herzlichen Glückwunsch, flüsterte er, du siehst wie ein Monster aus. Leszek nickte: Du auch. Es war Donnerstag, der 20. März 1941. An diesem Tag ist er fünfzehn Jahre alt geworden.
Dass die Nazis keinen Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen machten, wussten sie. Ob klein oder groß, sie waren Feinde des deutschen Volkes, man würde sie am Stadtrand erschießen oder zum Verhör in die Gestapozentrale bringen und das, hatte Leszeks Onkel gesagt, war schlimmer als der Tod. Der Wagen fuhr an. Die Nazis saßen zu dritt im Fahrerhaus, die Jungen auf der Pritsche würden sich so schnell nicht rühren. Karol bewegte die Lippen, Leszek verstand, abhauen war die einzige Chance, die Hinterhöfe in Krakau kannten sie besser als die Deutschen. Als der Wagen vor einer scharfen Kurve bremste, sprangen sie ab und fielen einem Mann vor die Füße, der, als hätte er auf zwei vom Auto purzelnde Jungen gewartet, sie in den Hauseingang zog, auf den Hof führte und ihnen dort den Weg durch ein Kellergewölbe zeigte, dessen Ausgang in einem anderen Stadtteil lag.
Leszek stellte Wasser für die vierte Kanne Kaffee auf. Er stürzte den Kaffee mit derselben Gier in sich hinein wie Heiner. Kochend heiß musste er sein, bitter und stark. Nie ließ er den Pegel im Becher tiefer als bis zur Hälfte sinken, vorher goss er eilig nach. Mit Tadel in der Stimme sagte er: Lena, du hast nichts auf dem Teller. Hast du vergessen? Alte Lagerregel: Was du im Bauch hast, kann dir keiner stehlen. Lena war nicht zimperlich, aber wie konnte sie kauen, schmecken, schmatzen, Nudelsalat probieren – glaubte Leszek, sie habe keine Phantasie? Sollte sie hart werden auf dieser Reise? Lernen, sich von Erinnerungen den Appetit nicht verderben zu lassen? Leszek, sagte sie streng, es ist beleidigend, bei einer solchen Geschichte zu essen.
Für wen, fragte Heiner.
Für Leszek.
Leszek ist nur beleidigt, wenn sein Krautsalat welkt.
Ich soll essen, während er spricht?
Die Geschichte ist lang, sagte Heiner, du könntest verhungern.
Die Männer amüsierten sich, lachten den Lagerhunger, der sie hätte umbringen können, aus. Leszek sagte: Sieh es so. Es ist schöner in der Welt, wenn das Erzählen vom Essen begleitet wird wie der Tanz von der Musik.
Lena packte sich zwei Eier und einen Kanten Brot auf den Teller und biss in einen dicken Zipfel Wurst.
Wir wussten, dass wir nicht nach Hause durften, sagte Leszek, zuhause wartete die Gestapo. Ihr wart so verdammt effektiv, ihr Deutschen. Wie schnell ihr unsere Städte im Griff hattet, wie schnell ihr Verwandtschaftsgrade und Freundeskreise ausspioniert hattet.
Heiner ist Wiener, sagte Lena, ich stamme aus Danzig und bin in der Schweiz aufgewachsen – aber sag ruhig ›ihr‹.
Karol schlug
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