Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
Einige Mitarbeiter schienen neugierig zu sein. Jeder, der über einen durchschnittlichen IQ verfügte, musste Parrish als Polizisten identifiziert haben. Außerdem war er den zweiten Tag hintereinander gekommen. Am Wasserspender würde man Fragen stellen. Wenn dadurch Gerüchte entstünden, konnten sie Parrish nur nützen. Falls der Täter selbst hier arbeitete oder auch nur ein Kerl, der dem Täter Informationen über die Mädchen verschaffte – er würde auf jeden Fall nervös reagieren und schon schwitzen, ehe die Befragung überhaupt begann.
Parrish ging zurück zur U-Bahn und nahm den Zug Richtung Hoyt Street.
Auf seinem Schreibtisch fand er eine hingekritzelte Notiz vom Empfang. Clare Baxter hatte angerufen. Ob er sie zurückrufen könne?
Er wählte die Nummer, die er noch immer auswendig kannte.
»Frank?«
»Hallo. Was gibt’s?«
»Ich werde jetzt reden, Frank, und du wirst mich nicht daran hindern. Ich werde dir die reine Wahrheit sagen, und ich denke, du solltest mir zuhören.«
Resigniert schloss Parrish die Augen.
»Es gibt niemanden, einfach niemanden , der mich derart irritiert und auf die Palme bringt wie du. Manchmal frage ich mich, ob du jemals im Leben über irgendetwas nachgedacht hast, oder ob du einfach bloß irgendwelchen verdammten Ideen folgst, die dir gerade in den Sinn kommen, und dann schlicht abwartest, was passiert. So bist du sechzehn Jahre mit mir umgegangen, Frank, aber ich hatte die Wahl, dich zu verlassen, und das habe ich auch getan. Aber Caitlin? Caitlin ist deine Tochter, und sie betrachtet es als ihre Verpflichtung, dich zu lieben und dir zu vertrauen. Sie hat nicht die Wahl, die ich hatte, Frank. Sie hat das Gefühl, sie muss sich deinen Mist anhören, weil du ihr Vater bist. Lass mich dir sagen, dass ich ein Gespräch von Frau zu Frau mit ihr führen und ihr erklären werde, wer du wirklich bist. Danach kann sie sich ihr eigenes Urteil bilden und entscheiden, ob sie weiterhin mit dir zu tun haben will oder nicht. Und bis dahin hältst du dich, verdammt noch mal, von ihr fern, Frank. Sonst werde ich jede wache Stunde und jeden Cent dafür einsetzen, dir juristisch verbieten zu lassen, sie zu sehen …«
Parrish legte auf. Er zog seine Jacke aus und fragte sich, wo, zum Teufel, Jimmy Radick steckte.
42
Jimmy Radick erschien kurz vor Mittag. In der Hand hielt er ein Blatt Papier.
Er nahm Parrish gegenüber Platz. Eine Weile sagte Parrish nichts, und als er dann den Mund öffnete, fiel Radick ihm direkt ins Wort.
»Gestern, das war Schwachsinn, Frank«, stellte er sachlich fest. »Wäre ich ein aggressiverer Mann, dann würde ich Sie jetzt raus auf den Parkplatz schleppen und windelweich prügeln. Aber letztlich geht es hier nicht um Sie und mich. Was immer Sie für Probleme mit Ihrer Tochter haben, geht mich nichts an. Der einzige Fehler, den ich begangen habe – der einzige Fehler übrigens –, war, dass ich zugestimmt habe, mit ihr zu sprechen, weil sie sich Sorgen um Sie macht. Bei unserer ersten Begegnung hat sie mir einen Zettel mit ihrer Telefonnummer in die Hand gedrückt, und wissen Sie, was sie zu mir sagte?«
»Was hat sie gesagt, Jimmy?«
»Sie sagte, dass Sie trinken und dann in üble Stimmungen geraten. Sie sagte, zwischen Ihnen und ihrer Mutter wäre eine Menge Mist vorgefallen, mit dem Sie nicht gut zurechtkämen. Sie forderte mich auf, sie anzurufen, falls Sie sich total volllaufen lassen.«
»Und? Haben Sie angerufen?«
»Nein, das habe ich ganz sicher nicht. Sie rief mich wieder an. Gestern. Sie fragte, wie es Ihnen ginge, wie ich mit Ihnen im Dienst zurechtkäme. Daraufhin erklärte ich ihr, dass sie das eigentlich nichts anginge und dass ich es für keine gute Idee hielte, ein solches Gespräch mit ihr zu führen.«
»Und warum, zum Teufel, waren Sie dann in ihrer Wohnung?«
»Sie bat mich zu kommen, Frank. Sie bat mich zu kommen, weil es etwas gab, worüber sie mit mir reden wollte, und zwar nicht am Telefon.«
»Und worum ging es? Worüber wollte sie mit Ihnen reden?«
»Ich habe nicht die leiseste Idee, Frank, und wissen Sie auch warum? Weil Sie aufkreuzten und Ihre Show abzogen.«
Parrish senkte den Kopf. Er schämte sich nicht. Er kam sich nur dumm vor. Er war nicht sicher, ob Jimmy Radick die Wahrheit sagte, vermutete aber, dass es tatsächlich so war. Jede Lüge, die Jimmy ihm jetzt auftischen würde, konnte später durch ein paar Worte von Caitlin auffliegen – vorausgesetzt, sie würde je wieder mit ihm sprechen. Das wusste
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