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Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)

Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)

Titel: Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.J. Ellory
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an sein rechtes Fußgelenk gefesselt. Man musste nur die Schur durchtrennen, um seinen Wagen zu stehlen, aber auch dann hätte man kaum etwas davon gehabt. Zwar befand sich das ganze Spektrum von Georges wechselnden Besitztümern in diesem Einkaufswagen, doch besaßen diese für niemanden außer ihm selbst einen Wert. Flaschendeckel – ein ganzer Sack voll –, von Coca-Cola über 7-Up bis zu Seagram’s Seven Crown, Jim Beam, Jack Daniels, dazu ein kleines Säckchen mit Verschlüssen aus Holz und Kork von Labrot & Graham’s Woodford Reserve. Außerdem Garnrollen, Haarklammern, Knöpfe, Filmdosen, Pipetten, Batterien, unbrauchbare Schlüssel, ausländische Münzen, leere Streichholzheftchen, Haarspangen, Teelöffel und ein dickes Bündel Postkarten, die von amerikanischen Touristen in England an ihre weitläufige Verwandtschaft geschickt worden waren.
    Liebe Ma. Wir haben Buckingham Palace angeschaut. Lucy glaubt, sie hätte die Queen von England am Fenster gesehen.
    Jimmy. Es geht uns großartig, auch wenn eine Dose Pepsi fast zwei Dollar kostet!
    Granddad. Hoffentlich geht es dir gut. Onkel David sagt, wir schauen uns heute Madam Two Sword oder so was an. Klingt nach einem Bordell!
    Und noch mehr von der Sorte.
    George Wintergreen war eine Elster, ein Hamsterer, auch wenn der tiefere Sinn hinter seiner Sammlung, der gegenwärtige oder spätere Zweck, dem diese Gegenstände dienen sollten, sich niemandem außer ihm selbst erschloss. Er bewachte sie grimmig, konnte aber gelegentlich vom einen auf den anderen Moment entscheiden, dass etwas nicht mehr gebraucht wurde. Während der fünfzehn Jahre seines Vagabundierens hatte er sich von Kämmen getrennt, von Kordeln, Vorhängeschlössern, kaputten Armbanduhren, Zigarettenschachteln, Disketten, Lippenstiftröhrchen, Plastikgabeln und Kugelschreiberminen.
    Wintergreen frequentierte die Ränder von South Brooklyn – Carroll Park, den Gowanus Canal –, wobei er manchmal die Schatten unter der Schnellstraße ins Red-Hook-Viertel durchquerte. Er schlief in Hauseingängen, leer stehenden Gebäuden, vor aufgegebenen Geschäften; und hin und wieder nutzte er auch den begrenzten Platz auf dem Fußboden einer säkularisierten Kirche am James J. Byrne Memorial Park. Hier, unter dem Ballast und Treibgut Brooklyns, unter denen, die New Yorks Straßen wie Geister aus der Vergangenheit heimsuchten, schlief er ein paar Stunden lang geschützt vor der bitteren Kälte. Beim ersten Tageslicht entschwand er wieder in die Welt, die sich seinen Augen auftat. Er schob seinen Einkaufswagen, sammelte weitere Besitztümer ein und sprach mit niemandem.
    Früher einmal war George verheiratet gewesen. Früher einmal hatte er die Launen und Unwägbarkeiten des internationalen Finanzmarkts so gut wie jeder andere Mann begriffen, doch dann passierte etwas. Ein Spalt öffnete sich. George stürzte kopfüber hinein und fiel immer tiefer, bis er im Dreck landete und sich – statt zu versuchen, wieder nach oben zu kriechen – entschied, dort zu bleiben.
    Doch so tief dieser Spalt auch gewesen sein mochte, besaß George noch genügend gesunden Menschenverstand und Realitätssinn, um zu begreifen, dass der tote Körper eines jungen Mädchens kein Anblick war, von dem er einfach seinen Wagen fortschieben und ihn vergessen konnte.
    Am frühen Morgen des zwölften September, einem Freitag, kurz vor sechs Uhr, startete George von der Ecke Hamilton Avenue/Garnet Street und unterquerte die Schnellstraße. Er wollte das Red-Hook-Erholungsgebiet umrunden und über die Columbia Street bis zur Lorraine Street gehen, dort rechts abbiegen und ihr bis zur Ecke Creamer Street/Smith Street folgen und sich dann wieder nach Norden wenden, am Kanal entlang bis zu Fourth Street. Hätte er seinen Rundgang wie geplant zu Ende gebracht, so wäre er bis auf zwei oder drei Blocks an Caitlin Parrishs Wohnung herangekommen – und wahrscheinlich ähnlich nah an Kellys Zuhause. Doch er brachte ihn nicht zu Ende. Tatsächlich kam er nicht weiter als bis ans Ende der Bay Street, denn dort manövrierte er seinen Einkaufswagen zwischen einen Abfallcontainer und einen verrosteten Mülleimer aus Metall. Für einen Moment aufgehalten, mobilisierte George seine ganze Kraft, um den Wagen durch den schmalen Zwischenraum zu zwängen. Dabei bemerkte er nicht, dass der Wagen an einem Stück dickem Draht festhing, mit dem der Deckel des Mülleimers an Ort und Stelle gehalten wurde. Indem er seinen Wagen durch den schmalen Spalt bugsieren

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