Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
aufzuführen. Und angesichts der Situation, in der Sie stecken, muss ich mich wundern, dass der pure gesunde Menschenverstand Sie nicht zwingt, sich ein bisschen zurückzunehmen.«
»Er ist neunundzwanzig Jahre alt, und meine Tochter erst zwanzig.«
»Und was hat das damit zu tun?«
»Verdammt, er ist ein Cop, Marie … er ist ein verdammter Cop. Das ist sicher nicht das, was ich mir für Caitlin vorgestellt habe.«
»Bitte? Sie glauben ernsthaft, dass er bei ihr war, weil er mit ihr schlafen wollte? Das steckt Ihrer Meinung nach dahinter? Ehrlich, Frank, noch weiter können Sie mit Ihren Vermutungen nicht danebenliegen.«
»Wollen Sie mir erzählen, dass er nicht in ihrer Wohnung war, weil er sie bumsen wollte?«
»Genau das will ich sagen. Er war nicht dort, weil er mit ihr schlafen wollte. Er war dort, weil sie ihm ihre Nummer gegeben hat und weil sie unter vier Augen mit ihm sprechen wollte. Und jetzt wollen wir mal sehen, ob wir erraten, worüber sie mit ihm sprechen wollte, hm, Frank?«
»Den Sarkasmus können Sie sich sparen …«
»Über Sie, Frank. Sie sind der Punkt, um den es sich für alle anderen im Augenblick dreht. Für Ihre Tochter, Ihren Partner, für mich. Frank Parrish hat es geschafft, dass alle wie gebannt darauf warten, was er als Nächstes anrichtet. Hat er noch seine Arbeit? Werden seine Kinder den Kontakt mit ihm abbrechen? Wird sein Partner sich in ein anderes Revier versetzen lassen, nur um von ihm wegzukommen? Alles dreht sich um Sie, Frank, also würde ich sagen, dass Sie zumindest in diesem Punkt ziemlich erfolgreich waren.«
»Inwiefern erfolgreich?«
»Sich selbst ins Rampenlicht zu stellen. Jedem zu zeigen, wie gründlich Sie alles vermasselt haben, und trotzdem noch zu glauben, dass nichts davon Ihre Schuld ist. Ich glaube, inzwischen haben wir es alle kapiert. Ich denke, wir alle akzeptieren inzwischen, dass niemand Frank Parrish helfen kann außer er selbst. Und dass er der letzte Mensch auf der Welt ist, der diesen Job übernehmen wird.«
»Ich habe das Gefühl, Sie sagen Dinge, die Sie eigentlich nicht sagen sollten.«
»Warum? Weil ich Ihre Therapeutin bin? Obwohl ich im Moment überhaupt nicht das Gefühl habe, irgendwas für Sie tun zu können.«
»Und was folgt daraus? Wollen Sie meinen Fall hinschmeißen?«
»Sie bringen mich an meine Grenzen, Frank, und ich weiß nicht, wie lange ich noch gewillt bin, das mit mir machen zu lassen. Ich muss mich noch um eine Menge anderer Leute kümmern, und jeder von denen, ohne Ausnahme, ist verdammt kooperativer und unkomplizierter als Sie. Das Schöne an meinem Beruf ist, dass die Leute es tatsächlich zu schätzen wissen, was man für sie tun kann – jedenfalls schätzen es die meisten. Aber es ist beinahe unmöglich, dagegen anzukämpfen, wenn sich jemand weigert, sich helfen zu lassen.«
»Sie wollen mich hängen lassen? Das ist nun wirklich kein Zeichen von Stehvermögen, oder?«
»Stehvermögen? Ich bin mir nicht so sicher, ob Sie zum Thema Stehvermögen so viel beitragen können …«
»Fangen Sie gar nicht erst davon an, okay? Erzählen Sie mir nichts über Stehvermögen. Mein Stehvermögen ist so ungefähr das Einzige, was mir hilft, diesen Job zu machen. Die wenigen Gestalten, die man tatsächlich von der Straße wegholt und die nicht gleich wieder aus dem Gericht marschieren wegen irgendeinem beschissenen Formfehler, werden ersetzt durch ihre Brüder, ihre Vettern, ihre Nachbarn. Man selbst wird älter, sie nicht. Und das Gesetz? Was, zum Teufel, ist das Gesetz? Recht und Gesetz sind nicht dasselbe, jedenfalls nicht in den letzten fünfzig oder hundert Jahren. Heutzutage dient das Gesetz den Anwälten und den Tätern, nicht den Opfern und ihren Familien, und ganz bestimmt nicht der Polizei. Wie sieht uns denn der Durchschnittsbürger? Als verdammte Witzfiguren, sonst nichts. Jeder weiß doch, dass wir keinen schnappen, und für den seltenen Fall, dass es mal klappt, bekommt das Arschloch den besten Verteidiger, den der Steuerzahler sich leisten kann. Derjenige, der ausgeraubt wird, zahlt die Steuern, mit denen der Anwalt des Räubers bezahlt wird. Was wünschen sich die Leute denn tatsächlich von uns? Sie hoffen, dass wir eine Art legale Rache üben, das hoffen sie. Sie hoffen, dass wir jemanden jagen und dass der Typ um sich tritt, schreit und sich der Verhaftung widersetzt. Und dass er im Idealfall eine Pistole und ein Messer besitzt und irgendwas versucht, damit wir eine Chance kriegen, ihn umzunieten. Das
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