Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
allem, was ich heute weiß, kann ich Ihnen versichern, dass er eine ganz andere Art von Last mit sich herumtrug«, erwiderte Parrish. »Vor allem trug er eine Schuld mit sich herum.«
»Warum sagst du das, Frank?«
»Weil er kein anständiger Mann war, Father. Er war korrupt und eigennützig. Er kannte seine Arbeit gut genug, um die Grenzen zu sehen, entschied sich aber, diese Grenzen zu überschreiten.«
»Das weißt du?«
»Ja.«
»Und hast du es immer gewusst?«
»Im Prinzip schon, ja.«
Briley lehnte sich zurück. Er atmete tief ein und ganz langsam wieder aus. »Wie geht man mit so etwas um, Frank? Wenn jemand einem so nahe steht und dieser Mensch als Inbegriff des Anstands und der Ehrlichkeit gilt, doch man selbst ist vom Gegenteil überzeugt?«
»Ich glaube nicht, dass man wirklich damit umgehen kann .«
»Haben die Gefühle, die es bei dir auslöst, sich im Laufe der Zeit verändert?«
»Ich versuche, andere Gefühle zu empfinden. Ich habe jemanden, mit dem ich darüber spreche. Früher habe ich nie darüber gesprochen.«
»Reden ist gut.«
»Das kann es sicher sein. Im Moment allerdings bewirkt es eigentlich nur, dass ich wütend auf ihn bin. Es erinnert mich an all die Gründe, die ich habe, ihn zu hassen.«
Wieder griff Briley nach Parrishs Arm. »Hass …«
»… ist eine der sieben Todsünden?«
»Nein, Frank, das wollte ich nicht sagen. Deine Gedanken waren auf dem Weg zum Ziel, haben aber die letzte Hürde gerissen.«
Parrish lächelte.
»Hass ist ein mächtiges Gefühl«, fuhr Briley fort. »Manchmal ist er gerechtfertigt, ganz sicher. Aber nach meiner Erfahrung schadet er tendenziell dem Hassenden mehr als dem Gehassten.«
Parrish lachte. »Na ja, der Gehasste ist tot, also nehme ich mal an, dass der Schaden für ihn nicht mehr allzu groß sein kann.«
»Manchmal allerdings ist das Andenken eines Mannes mächtiger als der Mann selbst. Die Macht des Rufs, die Macht dessen, was andere Menschen über ihn denken.«
»Es würde nichts nützen, dem Mythos ein Ende setzen zu wollen. Wie Sie wissen, war mein Vater ein selbst ernannter Samariter und ein durch und durch guter Kerl.«
Briley lächelte sardonisch. »Ich weiß, dass er keines von beidem war«, sagte er.
»Ich glaube, dass der einzige Mensch, an dessen Wohlergehen er interessiert war, er selbst …«
»Du musst es mir nicht erzählen, Frank, das musst du wirklich nicht.«
»Ich habe das Gefühl, ich muss es irgendwem erzählen. Noch jemand anderem als …«
»Nein«, unterbrach Briley ihn, »ich meine, dass du es mir deshalb nicht erzählen musst, weil ich es schon weiß.«
Parrish hob die Augenbrauen.
»Schau nicht so überrascht, Frank. Du wärst wirklich verblüfft, wenn du wüsstest, was die Leute einem Priester alles erzählen. Auch außerhalb des Beichtstuhls. Dein Vater war ungefähr einen Monat, bevor er getötet wurde, hier bei mir. Und er sprach bestimmte Dinge an, bestimmte Geschehnisse, die ihn quälten.«
»W…was denn, zum Beispiel?«, fragte Parrish mit stockender Stimme und ungläubigem Gesicht.
»Nichts Spezielles. Keine Namen, keine Daten, keine Orte. Ich erinnere mich auch nicht mehr präzise an seine Worte. Es ist jetzt – wie lange? – sechzehn, siebzehn Jahre her? Er begann mit den üblichen Erklärungen und Entschuldigungen, weil er nicht zur Messe und zur Beichte gekommen war. Ich fragte ihn, ob er beichten wolle, und er sagte nein, dafür wäre es zu spät. Er sagte, er hätte einiges Unrechte getan, seine Vertrauensposition missbraucht, aus seiner Stellung als Polizist Vorteile gezogen. Er sagte, er hätte sich Dinge genommen, die ihm nicht gehörten, hätte Beweise unterdrückt und sogar vernichtet, sodass Schuldige als freie Männer davongekommen wären.«
»Was haben Sie ihm geantwortet?«
»Was konnte ich ihm antworten? Ich habe seine Offenheit gewürdigt und ihn ermutigt, Buße zu tun. Ich habe ihm vorgeschlagen, zu beichten und die Messe zu besuchen, zur Kommunion zu gehen… und dass er darangehen sollte, seine Fehler zu korrigieren und wiedergutzumachen.«
»Und richtete er sich danach? Kam er zur Messe und zur Beichte …?«
»Soweit ich weiß – nein. Hier tauchte er jedenfalls ganz sicher nicht mehr auf. Wie gesagt, es war ja ungefähr einen Monat vor seinem Tod.«
»Und als Sie hörten, dass er umgebracht worden war?«
»Nun, ich grübelte darüber nach, was die Gründe gewesen sein mochten. Ob seine Qualen vielleicht die Überhand gewonnen hatten und er sich absichtlich
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