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Der Schrei des Eisvogels

Der Schrei des Eisvogels

Titel: Der Schrei des Eisvogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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schlossartigen Seitentürme von Old Hall (eine Verschönerung aus dem neunzehnten Jahrhundert?) einnahm. Die Wandtäfelung war derart, dass eine weitverzweigte Mäusesippschaft sie hätte kolonisieren können und, nach den Löchern in Bodenhöhe zu urteilen, vermutlich auch hatte. Der Raum verfügte über Bücherregale, aber nur sehr wenig Bücher, einen Schaukelstuhl, dem eine Kufe fehlte, ein Chesterfield-Sofa, das so einladend aussah wie ein Aligator beim Bad in der Sonne; und dort, wo man vielleicht einen schönen alten Schreibtisch erwartet hätte, stand ein ziemlich ramponierter Küchentisch.
    Pascoe strich über die raue Oberfläche. Es musste wie ein Kommentar gewirkt haben, denn Girlie sagte: »Tut mir leid, dass es so spartanisch aussieht, aber wir mussten ein paar Wertgegenstände verkaufen. Die Banken sind nicht mehr so spendabel wie früher, zumindest, wenn man kein Dritte-Welt-Diktator oder Gauner in der Hauptstadt ist. Der Squire wird sicher jeden Moment hier sein. Falls nicht, geben Sie Laut. Er vergisst schon mal, was er wollte.«
    »Ich auch«, sagte Pascoe, als sie zur Tür ging. »Sagen Sie, könnte ich nicht einfach Ihnen ein paar Fragen stellen? Bitte. Ich suche einen Polizisten«, sagte er.
    »Dachte, Sie sind selber einer«, sagte sie.
    »Constable Bendish, Ihr hiesiger Bobby. Den suche ich.«
    »Ach den. Frecher Kerl. Wollte wahrhaftig mal ’ne Probe von meiner Mischung zur Analyse haben.«
    Pascoe, der sich ebenfalls gefragt hatte, ob sie womöglich irgendeine verbotene Substanz in ihrer Pfeife rauchte, wurde ein bisschen rot und sagte: »Sie ist zweifellos recht exotisch.«
    »Kräuter. Ich versuche, vom Nikotin loszukommen. Das Problem ist, dass ich inzwischen nach diesem Zeug noch süchtiger bin. Ihnen ist also Junker Harold abhanden gekommen?«
    »Ich dachte, man nennt ihn Dirty Harry?«
    »Unten im Morris, ja. Hier oben stehen wir, wie Sie unschwer bemerkt haben dürften, mehr auf Balladen.«
    Vergaß er schon wieder, was er eigentlich wollte?
    »Ja. Worum geht es dabei eigentlich?«, fragte Pascoe.
    »Senilität. Es sind unsere Laster, die uns auf Trab halten. Wenn man für die gewohnten zu klapprig geworden ist, muss man sich was Neues einfallen lassen. Die meisten verfallen aufs Lästern oder Habgier. Im Fall des Squires ist es ein schwerer Anfall von Geschichtsversessenheit. Die Guillemards werden in einer der nordischen Sagen erwähnt. Der Squire hat es sich nun in den Kopf gesetzt, eine ganze Familienchronik in Balladenform zu dichten. Und es kommt noch schlimmer. Er liebt es, sie öffentlich vorzutragen. Die Frauenakademie musste hundert Strophen über sich ergehen lassen, bis Mrs. Hogbin endlich ihren Anfall bekam. Fünfzig Leute stürmten hinaus, um einen Arzt zu rufen. Zwei davon sind zurückgekommen.«
    »Das muss ja seine Karriere im Keim erstickt haben.«
    »Keine Chance. In dieser Gegend stößt man den Squire nicht so einfach vor den Kopf. Beim hiesigen Heimatverein und beim Volkshochschulkurs für Kreatives Schreiben ist er schon fest gebucht. Er wär inzwischen bestimmt schon bei der
North Light Show
aufgetreten, wenn die nicht von diesem kleinen Scheißer Halavant moderiert würde. Da kommt er übrigens. Falls Sie eine Stunde erübrigen können, bitten Sie ihn um eine Kostprobe! Ciao!«
    Weg war sie. Durch die Tür trat der Squire, nunmehr ohne Vorhang und Hut, Requisiten, die (falls es Requisiten waren) jetzt eine junge Frau auf dem Arm trug. Sie stand schemenhaft im Türrahmen, weder ganz drinnen noch draußen.
    Selbst ohne die Hermelinverlängerung war der Squire gut einen Meter fünfundneunzig groß, mit der strammen Haltung eines Wachsoldaten. Seine Haut war vom Alter faltig wie ein Baumwolljackett von einer langen Reise, doch auch wenn er ein wenig schwerfällig ging, so zeigte sein scharfer Blick, dass er für die Endstation noch nicht bereit war.
    »Sie sind der Polizeiinspektor?«, fragte er gebieterisch. »Wie kommt es, dass solche Stümper solche Titel tragen?«
    Er richtete seine Frage offenbar an jemanden, der, wäre das Zimmer ein Cricketfeld, am Platz des zweiten Eckmanns zu stehen schien.
    »Kriminaloberinspektor, genauer gesagt«, erwiderte Pascoe.
    Der Squire justierte seinen Blick und nahm sein Gegenüber in Augenschein.
    »Sei’s drum. Sie sind wegen dieses unsäglichen Bendish hier?«
    »Richtig«, sagte Pascoe und wunderte sich ein weiteres Mal über die hellseherische Gabe, die ihm allenthalben in Enscombe begegnete.
    »Sie kommen ja reichlich

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