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Der Schrei des Eisvogels

Der Schrei des Eisvogels

Titel: Der Schrei des Eisvogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Meinung nach einer von denen?«
    »Aber sicher. Hab ihn ja selbst gesehen. Ich bin im Wintergarten beim Umtopfen meiner Pelargonien, und ich sehe auf, und da läuft er, auf der Gartenmauer, nackt, wie Gott ihn schuf.«
    »Großer Gott«, sagte Pascoe. »Sind Sie sich ganz sicher?«
    »Natürlich bin ich mir sicher. Könnte mir gar nicht sicherer sein. Ausgestattet wie ein Bulle, kann ich Ihnen sagen. Wie ein Preisbulle sogar.«
    »Dieser Garten mit der Mauer, könnte ich da mal einen Blick reinwerfen?«
    »Tut mir leid, das ist ein bisschen schwierig im Moment. Der Schlüssel ist weg, seit der alte Hogbin seinen Schlaganfall hatte. Um diese Jahreszeit ist sowieso noch nicht viel zu sehen. Interessieren Sie sich fürs Gärtnern? Junge Männer brauchen eine Leidenschaft. Alte Männer auch. Mein größtes Hobby ist die Familiengeschichte. Wussten Sie, dass ich an einer Ballade über die Geschichte der Guillemards arbeite? Vielleicht hat er ja Lust auf ein paar Strophen?«
    Die Frage richtete sich an den Eckmann, doch diesmal riss Pascoe, der Gefahr im Verzuge sah, rasch sein Schlagholz hoch, um den Wurf abzufangen.
    »Tut mir leid, Sir, aber ich habe nicht viel Zeit …«
    »In Eile? Kann ich verstehen. Bin selber sehr beschäftigt. Fran, bist du da?«
    Die junge Frau stand tatsächlich in der Tür, mit einem Tablett in der Hand.
    »Der Inspektor hat nun doch keine Zeit mehr für den Tee. Lass das Tablett hier, meine Liebe, und begleite ihn hinaus. Einen schönen Tag noch, Inspektor. Und richten Sie Tommy Winter Grüße von mir aus.«
    So wurde Pascoe unversehens aus dem Zimmer manövriert, und er hatte dabei das unangenehme Gefühl, sich so sehr auf den Eckmann konzentriert zu haben, dass er völlig vom Weg abgebracht worden war.

Sieben
    »Mary und ich … sind ins Liverpool-Museum & in die British Gallery gegangen, & ich habe mich in beiden recht amüsiert, auch wenn meine Vorliebe für Männer und Frauen stets dazu führt, dass ich mich mehr meinen Begleitern widme als dem, was es zu sehen gibt.«
    C addy Scudamore war ganz Auge. Was ihr ins Blickfeld geriet, das sah sie ganz, und vieles von dem, was ihr durch die anderen Sinne ins Bewusstsein drang, wurde ebenfalls ins Visuelle umgesetzt. Für sie zogen die Düfte aus Dora Creeds Backofen Goldfäden über die Straße, und Vogelgesang war Blütenstaub in der strahlenden Frühlingsluft.
    Und da Gott fair ist und die gute Fee an der Wiege auch ein paar Gaben zurückhält, gab es natürlich zum Ausgleich ein paar Mängel.
    Im Gespräch hörte sie nur, was sie hören wollte; an Freundlichkeit gab sie nur, was sie unbeschadet erübrigen konnte; und in Sachen der Moral war sie freudig überrascht, mit welcher Regelmäßigkeit sich das Vertretbare mit dem Angenehmen verband.
    »Das einzige, was ihr zu einer erstklassigen Künstlerin noch fehlt«, urteilte Justin Halavant in der
Evening Post
in seiner Vorabbesprechung ihrer letzten Ein-Frau-Show‚ »ist ein tiefer Schmerz, an dem ihre Seele reift.«
    Vermutlich entsprang es reinem künstlerischen Altruismus, dass er ihr nach Eröffnung der Vernissage auf der Treppe zum Atelier aufgelauert und sie mit atemlosen Liebesschwüren und dem Versprechen einer enthusiastischen Kritik zu Boden gerungen hatte.
    Caddy war jedoch für einen gar so tiefen Schmerz noch nicht bereit, weshalb sie ihm zur Antwort das Knie in die Eier rammte.
    Ob an diesem Schmerz nun seine Seele reifte, ist schwer zu sagen, gewiss ist nur, dass sein Körper krankenhausreif war, weshalb keine Kritik in der
Post
erschien, sondern ersatzweise nur eine kurze Erklärung, der zufolge der Feuilletonchef, durchaus treffend, von »einem schweren Sturz« genese.
    Bis dahin war das Verhältnis zwischen Scarletts und der Eendale-Galerie durchaus eng und im allgemeinen von beiderseitigem Wohlwollen geprägt. Die Scudamores schmückten regelmäßig die künstlerischen Soirees, die Halavant für seine Freunde aus der Metropole veranstaltete, und umgekehrt brachte er die Gäste seines Hauses zur Galerie und drängte sie, billig einzukaufen, was der Kunstmarkt bald nur noch teuer hergeben werde. Zwar war Kee wegen seines überheblichen Besitzanspruchs zuweilen etwas verschnupft, doch eine volle Kasse ist ein wirksames Mittel, um die Atemwege frei zu machen, und wäre er in der Lage gewesen, seine testikulare Abfuhr im selben Geist zu nehmen, wie sie erteilt worden war, das heißt unvermeidbar, aber keine große Sache, dann hätten die Dinge so bleiben können, wie sie

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