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Der Schrei des Eisvogels

Der Schrei des Eisvogels

Titel: Der Schrei des Eisvogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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die Sonnenschirme einzurollen, während sich die Feriengäste nur auf den Nervenkitzel eines heraufziehenden Sturms freuen würden. Es hing wirklich ganz und gar davon ab, worin er seine Funktion hier sah. War er Bademeister oder nur ein Feriengast?
    Wield sah so aus, als hätte er sich für letzteres entschieden. Er stand neben der Autotür und starrte in den Himmel im Norden wie in die Kuppel von Sankt Markus. Auch Pascoe ließ den Blick nach oben schweifen. Zuerst sah er nichts als die Wolkenfetzen über dem verhangenen Moor. Dann entdeckte er etwas, das sich bewegte.
    Ein Vogel … nein, zwei Vögel … sehr hoch oben …, die unablässig ihre Kreise zogen …

Neun
    »Ich mag ihn sehr. Ich bin sicher, er ist klug & ein Mann von Geschmack – immer zu einem Lächeln aufgelegt, ein Meister des guten Tons und ein brillanter Unterhalter – und ich bin ziemlich in ihn verliebt. Allerdings ist er wohl leider ehrgeizig & unaufrichtig.«
    W enn er sich morgens rasierte oder sein elegantes Profil im Feuilleton der
Evening Post
betrachtete oder auch eine Videoaufzeichnung einer seiner Fernsehsendungen anschaute, beglückwünschte sich Justin Halavant gewöhnlich dazu, Justin Halavant zu sein.
    Am allermeisten liebte er es, sich in den neidischen Augen seiner Gefolgschaft gespiegelt zu sehen, jener Leute, die für einen Bruchteil seines Witzes, guten Aussehens, Stils, Geschmacks und Erfolgs bei Frauen die Unschuld ihrer Schwester verpfändet hätten, die er vermutlich ohnehin schon gratis bekommen hatte.
    Zuweilen allerdings musste er sich eingestehen, dass er zwar das, was er besaß, ganz besaß, dass es aber auch das eine oder andere gab, das ihm abging.
    Zum Beispiel das Talent zum Dieb.
    Es hatte ganz gut angefangen. Es war überraschend einfach gewesen, in die Corpse Cottage zu kommen.
    Er drückte die Klinke herunter, und die Tür ging auf.
    Nur zum Schein rief er zweimal: »Hey, Sie. Constable Bendish!« Dann trat er ein.
    Und da fing der Ärger auch schon an. Ein Einbrecher wüsste vermutlich, wo er suchen müsste. Er entschied sich für die tiefen Nischen am Kaminvorsprung, die Bendish offensichtlich für Bürozwecke benutzte. Hier stand ein Sekretär, in dessen Fächer er alle Formulare, die er für seinen Beruf benötigte, fein säuberlich einsortiert hatte. Nur waren sie leider abgeschlossen, der Schrankteil darunter ebenfalls, und obgleich solche Dinger im Fernsehen bei der geringsten Berührung durch eine Nagelfeile aufsprangen, leisteten sie im wirklichen Leben beträchtlichen Widerstand.
    Wahrscheinlich war es sowieso pure Zeitverschwendung, in einem Büro nach etwas zu suchen, das aus guten Gründen niemals in die Akten käme.
    Er ging nach oben. Schlafzimmer waren das Gegenteil von Büros. Das war der privateste Ort eines Menschen. Hier würde er verstecken, was ihn ganz persönlich anging.
    Aber wo? Hier waren die Schubladen nicht abgeschlossen, aber es war nichts weiter drin als Socken, Hemden, Unterhemden und Unterhosen. Die Fächer im Schrank waren nicht ergiebiger. Er hob die Kopfkissen auf dem Bett hoch, dann in seiner Ratlosigkeit die Matratze, um darunter nachzuschauen.
    Gerade, als er damit beschäftigt war, hörte er draußen den Wagen heranfahren.
    Hatte er die Haustür zugemacht? Er konnte sich nicht erinnern. War eigentlich egal. Jeder hätte tun können, was er getan hatte. Wagentüren gingen auf, wurden zugeschlagen. Stimmen drangen nach oben. Er musste handeln, doch Handeln war seine Sache nicht. Er war eine Figur in einem Gemälde, für immer auf die Leinwand gebannt, die angehobene Matratze in der Hand. Das Woher und Wozu mussten sich andere dazudenken, während sie sich, den Katalog gezückt, mit Kennerblick vorüberdrängten.
    Und dann packte ihn jemand von hinten, die Matratze fiel aufs Bett zurück und er oben drauf, sein Angreifer rittlings über ihm. Vergewaltigung! O mein Gott! Fühlte sich das so an? Hatte sich Caddy vielleicht so gefühlt, als er sie auf der Treppe in der Galerie zu Boden geworfen hatte?
    Dieser seltene Anflug von Schuldgefühlen wurde sofort durch den Einfall belohnt, dass er mit seinem Angreifer genauso verfahren konnte, wie sie es mit ihrem getan hatte. Doch um sein Knie zum Einsatz zu bringen, musste er sich erst einmal umdrehen, und sein Angreifer hielt seinen Hals so fest im Würgegriff, dass er dagegen wehrlos war.
    Dann hörte er Schritte die Treppe heraufkommen und merkte, wie weitere Männer ins Zimmer stürmten.
    »Was zum Teufel geht hier

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