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Der Schrei des Eisvogels

Der Schrei des Eisvogels

Titel: Der Schrei des Eisvogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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hineingebaut ist«, fing der Pfarrer an zu erzählen. »Hinter dieser Wand, Mr. Pascoe, befindet sich mein Friedhof.«
    Er legte eine wirkungsvolle Pause ein, und Pascoe warf einen ebenso wirkungsvollen Blick auf seine Armbanduhr. Lillingstone grinste und fuhr zügig fort.
    »Begeben wir uns ins Jahr 1787, und zwar den 1. August, das Erntedankfest. Es hatte drei Tage lang ununterbrochen geregnet, länger als je zuvor, selbst in dieser feuchten Gegend. Es war der Tag, an dem der Hogbin-Klan sich versammelte, um Susannah, ihre Matriarchin, zu bestatten, die sie mehr als drei Jahrzehnte lang mit eiserner Hand regiert hatte. Aber ach, schon damals galt wie heute, dass die Trauer um den Toten im umgekehrten Verhältnis zur Furcht vor dem Lebenden steht, und die Erleichterung der Hogbins, als sie in diesem trockenen Haus der Sintflut draußen entrinnen konnten, war umso größer, als ihnen so recht bewusst wurde, dass die gefürchtete Susannah für immer von ihnen gegangen war. Sie aßen den Leichenschmaus und tranken das Bier dazu, und die Versammlung wurde immer feuchtfröhlicher, so dass selbst das fortwährende Prasseln des Regens gegen die Fensterscheiben die ausgelassene Stimmung nur heben konnte. Witze und Anekdoten folgten Schlag auf Schlag, und je häufiger die besten wiederholt wurden, desto größer die Belustigung. Der spitzeste Pfeil des Spottes ist uns in der Niederschrift von Silas Hogbin überliefert, damals das jüngste von neun oder zehn Geschwistern, das hier an dieser Stelle, in der Nische hinter dem Kamin, kauerte und die Gespräche der Erwachsenen aufsaugte, wie es Kinder nun mal tun. Sein eigener Vater hatte es gerade zum x-ten Mal wiederholt: ›Sicher das, aber haste das Loch jesein? Mehr Wasser drinne als in den bekloppten Jimmy sin Kopp! Das alte Mädel is nich beerdich worn, nee, is se nich, se is vom Stapel jeloufe!‹ Und zum x-ten Mal brüllten die Hogbins vor Lachen. Doch diesmal folgte auf den Scherz nicht nur lärmende Heiterkeit, sondern noch ein anderes Geräusch, das, anfänglich kaum hörbar, das Gelächter schließlich verstummen ließ, weil die Trauergemeinde die Ohren spitzte, um herauszufinden, woher es rührte.«
    Lillingstone legte eine dramatische Pause ein. Wie auf sein Stichwort war ein ächzender, knarrender Laut zu hören, der aus der Luft zu kommen schien. Pascoe zuckte ein wenig zusammen und grinste, als er merkte, dass es nur Wield war, der etwas die Treppe hinauftrug.
    »Kommen Sie zum Ende, ja?«, sagte er mit der Schroffheit des Ertappten.
    »Genau in diesem Moment hatte der kleine Silas ein merkwürdiges Erlebnis. Um seine Worte zu benutzen, war ihm, als ob sich ihm ein großer Finger in den Rücken bohrte und ihn nach vorn ins Zimmer schob. Er sah sich nach dem Urheber um.
    ›Hey, Paps‹, rief er. ›Diese Wand kriegt Beulen …‹
    Und noch während er die Warnung aussprach, brachen die Steine ebendieser Wand auseinander, um einer Flut von Erde, Geröll und Wasser zu weichen. Sie können sich denken, welche Panik ausbrach. Unter Schreien und Stoßgebeten stürzten die Hogbins zu den Türen und Fenstern, ohne Alter oder Geschlecht den Vortritt zu lassen. Auch flüchteten sie nicht nur, weil sie um ihr Leben fürchteten, sondern auch aus panischer Angst vor einer übersinnlichen Erscheinung. Denn mit dieser Schlammflut verschaffte sich ein Sarg mit noch glänzenden Griffen gewaltsam Einlass und brach auf ebendiesem Boden auseinander. Zum Vorschein kamen das bleiche Gesicht und die großen, anklagenden Augen derjenigen, der dieses Fest galt, niemand anderes als Susannah!«
    Er schwieg und wies mit den Fingern theatralisch zu Boden.
    Etwas zuviel des Guten, dachte Pascoe. Er fragte sich, ob er auch so predigte.
    »Klingt mir ein bisschen nach einer Gruselgeschichte, Pastor.«
    »Was? Ich versichere Ihnen, dass sie gut dokumentiert ist«, sagte Lillingstone und sah gekränkt aus. »Es war derselbe Wolkenbruch, durch den der Kirchturm den letzten Ruck zur Seite machte und durch den das Fundament des alten Pfarrhauses unterspült wurde, so dass es unbewohnbar wurde. Der Pfarrer musste so lange in Old Hall kampieren, bis die Gemeinde genug Spenden gesammelt hatte, um das schöne alte Pfarrhaus zu bauen, in dem ich jetzt wohne. Es steht alles schwarz auf weiß in den Annalen.«
    »Äußerst großzügige Gemeindemitglieder haben Sie in dieser Gegend«, sagte Pascoe.
    »Das stimmt, allerdings«, sagte Lillingstone, als ob er in der Bemerkung eine versteckte Beleidigung

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