Der Schrei des Löwen
habt uns befreit!«, entgegnete Yoba feierlich. »Ohne euch gäbe es unser Land nicht!«
»Ach ja?«, Osondu spuckte aus dem Fenster in den heißen Fahrtwind. »Schönes Land, wo alle abhauen wollen.«
»Wie meinst du das?«
»Na, wie wohl?«, blaffte Osondu. »Jeder will weg. Und ich kann das auch verstehen. Das Leben wird von Jahr zu Jahr schwieriger.« Er schüttelte den Kopf. »Dreihundert Naira!«, murmelte er fassungslos.
»Aber warum bleibst du dann hier?« Yoba legte Chiokes heruntergerutschten Kopf vorsichtig zurück an seine Schulter. »Ich meine, wenn alle weggehen, warum gehst du dann nicht auch?«
»Und was wird aus meiner Familie, wenn ich weggehe?« Osondu machte eine ärgerliche Handbewegung. »Nein, noch gebe ich nicht auf. Alles, was ich besitze, steckt in diesem Tanklaster, und solange mein Freund hier noch einen Meter schafft, bleibe ich.« Beinahe zärtlich strich er über das Lenkrad.
»Ist Tankerfahren denn ein gutes Geschäft?«, bohrte Yoba.
»Früher war es besser«, sagte Osondu, ohne ihn anzusehen. »Da gab es Aufträge und es liefen auch nicht so viele Verrückte mit Waffen herum.« Er schaltete einen Gang hoch und das Getriebe machte ein bedenkliches Geräusch. »Manchmal habe ich das Gefühl, alles war umsonst«, flüsterte er. »Früher gab es wenigstens noch Hoffnung.«
13.
»Guten Morgen, du Schlafmütze!« Julians Vater stand mit seiner Badetasche neben dem Hotelbett und rüttelte gut gelaunt an der Schulter seines Sohnes. Julian zog sich reflexartig die Decke über den Kopf.
»Na los, raus mit dir!« Sein Vater schüttelte ihn erneut. »Bevor wir zusammen tauchen gehen, sollten wir anständig frühstücken.«
»Mann, was für ein Stress!«, stöhnte Julian und quälte sich aus dem Bett. Er fühlte sich wie gerädert. Die Mücken und das Brummen der Klimaanlage hatten ihn letzte Nacht fast um den Verstand gebracht. »Du kannst ja schon mal vorgehen«, versuchte er seinen Vater loszuwerden. »Wir treffen uns dann unten beim Frühstück.«
»Könnt ihr nicht etwas leiser sein!«, nölte Frederike und vergrub ihr Gesicht in den Kissen. Sie teilte sich mit ihrem Bruder das Zimmer. »Mann, ich dachte, wir machen Urlaub!«
Ihr Vater wechselte in den Flüsterton. »Wir sind gleich weg, Prinzessin. Schlaf einfach weiter!«
»Aber es ist viel zu früh!«, beschwerte sich Julian, nachdem er einen Blick auf sein Handy geworfen hatte.
»Der Kurs fängt um acht an«, flüsterte sein Vater. »Treffpunkt am Strand bei der Tauchschule. Also leg einen Zahn zu! Ich gehe schon mal runter!«
Mit diesen Worten verließ er auf Zehenspitzen das Zimmer.
Julian tapste ins Bad und kramte schlaftrunken seine Badesachen zusammen. Nur die Aussicht auf einen Tauchkurs hatte ihn dazu bewogen, sich am Ende doch noch zu diesem unsäglichen Spießerurlaub überreden zu lassen. Tauchen sei ein echterKick, hatte sein Kumpel Alex felsenfest behauptet. Hoffentlich hatte er keinen Scheiß geredet.
Er schlüpfte in seine ausgeleierten Badeshorts und streifte sein Lieblings-T-Shirt mit dem fetten No-Way! -Aufdruck über. Dann schnappte er sich eins von den ausliegenden Hotelhandtüchern. Derart ausgerüstet machte er sich auf den Weg zur Tauchschule am Ende des Hotelstrands. Auf ein Frühstück inmitten verkaterter Erwachsener mit Niveacreme auf den verbrannten Nasen konnte er verzichten. Sein Vater würde schon merken, wenn er nicht auftauchte.
Bis zum Beginn des Tauchkurses hatten sich außer Julian noch weitere Touristen an der hoteleigenen Tauchschule eingefunden. Sein Vater verspätete sich natürlich, was aber niemandem sonderlich auffiel. Der sizilianische Tauchlehrer hieß Giuseppe und auf Julian machte er den Eindruck, als habe er die Nacht zuvor in der Disco verbracht. Unrasiert und mit dicken Augenringen schloss er das Gebäude auf und führte die Kursteilnehmer in einen frisch getünchten Unterrichtsraum. Er ließ ein paar seiner Standardwitze los, dann begann er mit seiner ersten Lektion. Nachdem er ihnen die unter Wasser geltenden Sicherheitsregeln eingeschärft hatte, erläuterte er anhand einer Schautafel die technische Ausrüstung: Anzug, Finimeter, Pressluftflasche mit erster Stufe, Inflator … Julian kam die Liste endlos vor. Während sein Vater sich eifrig Notizen machte, langweilte er sich allmählich zu Tode. Eigentlich wollte er nur tauchen und jetzt kam er sich vor wie in der Schule. Dabei waren doch Ferien!
»Wegen mir brauchst du dir das nicht anzutun«, raunte er seinem
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