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Der Schrei des Löwen

Der Schrei des Löwen

Titel: Der Schrei des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin Ramadan
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die Straßensperre hinter sich gelassen, prügelte er plötzlich auf das abgewetzte Lenkrad ein.
    »Diese Banditen!«, tobte er. »Dreihundert Naira! Dabei sind wir noch nicht einmal aus der Stadt!«
    Natürlich wusste Yoba, dass die Soldaten im ganzen Land nach Belieben Wegzölle erhoben. Wer kein Geld hatte, musste zumindest den Offizieren ein Geschenk machen. Die zweite Regel lautete: Widersetze dich niemals! Sonst wurde es nur noch teurer. Außerdem konnte falscher Mut schnell nach hinten losgehen, denn nicht wenige der jungen Soldaten waren betrunken oder mit Drogen vollgepumpt. Und auf einen toten »Terroristen« mehr oder weniger kam es in diesem Land nicht an.
    Angesichts Osondus Laune beschloss Yoba lieber den Mund zu halten und die Fahrt zu genießen. Noch war die Vegetation entlang der Straße tropisch grün und üppig. Sie kamen an ärmlichen Dörfern und kleinen, namenlosen Städten vorbei, dann durchquerten sie wieder riesige Erdnussfelder und Kakaoplantagen oder sie fuhren durch einen luftigen Wald aus Ölpalmen. Chioke konnte sich gar nicht sattsehen. Immer wieder deutete er aufgeregt aus dem Fenster. Mal war es ein riesiger, blühender Akazienbaum, mal ein ausgeschlachtetes und von Pflanzen überwuchertes Autowrack, das seine Begeisterung weckte.
    Osondu hatte für diese Dinge keinen Blick. Er saß schwitzend hinter dem Lenkrad und stierte in Erwartung des nächsten Schlaglochs angestrengt nach vorn. In der Hitze wölbte sich der Asphalt, an manchen Stellen bildete er sogar Blasen. Gleichzeitig wurden sie unentwegt von hupenden Autos und überladenen Minibussen bedrängt, die den langsamen Tanklaster in waghalsigen Manövern überholten. Wenn dies der Fall war, revanchierte sich Osondu, indem er wie ein Verrückter auf die Hupe drückte und wilde Flüche aus dem Fenster brüllte.
    So verging der halbe Tag wie im Flug. Allmählich öffnete sich die Landschaft und die tropische Vegetation wich zunehmend der weiten Savanne. Schon bald reichten die hohen Gräser bis zum Horizont. Abwechslung boten lediglich die Affenbrot- und Tamarindenbäume, die vereinzelt zwischen dem gelben Gras in den wolkenlosen Himmel ragten. Irgendwie machte dieser Teil Nigerias auf Yoba einen leeren Eindruck. Im Süden, aus dem er kam, gab es hingegen mehr Menschen, als gut war.
    Yoba war erstaunt, wie wenig er sein Heimatland eigentlich kannte. Trotzdem wünschte er sich allmählich, Osondu würde endlich eine Pause einlegen. In dem Fahrerhaus war es brütend heiß, woran nicht nur die Mittagssonne schuld war, sondern auch der kochende Motor unmittelbar unter ihren Sitzen. Aber Anthonys Freund dachte gar nicht daran anzuhalten. Chioke war mittlerweile eingeschlafen. Lange hatte er sich dagegen gewehrt, um ja nichts zu verpassen, aber am Ende hatten die aufregenden letzten vierundzwanzig Stunden doch noch ihren Tribut gefordert. Jetzt schlief er wie ein Stein und lehnte mit offenem Mund an Yobas Schulter. Bei jeder Bewegung des Lasters schaukelte sein Kopf hin und her, doch dasweckte ihn ebenso wenig auf wie das Gehupe und Gefluche ihres Fahrers.
    »Darf ich dich etwas fragen?«, erkundigte sich Yoba bei Osondu. Allmählich war er das Schweigen leid. Seit ihrer Abfahrt in Aba vor vielen Stunden hatte der Mann so getan, als seien Chioke und er Luft.
    Die Antwort bestand aus einem undefinierbaren Brummen, was Yoba als Ja wertete.
    »Seit wann kennst du Anthony?«, wollte er wissen.
    Osondu schaltete einen Gang herunter und schielte in den Außenspiegel. Yoba versuchte es erneut. »Kennt ihr euch schon lange?«
    Osondu schwieg weiter. Schließlich antwortete er doch. »Er war mein Gruppenführer im Unabhängigkeitskampf.«
    »Ihr habt zusammen die Engländer vertrieben?«, entfuhr es Yoba. In der Schule hatte er viel über diese Zeit gehört. Der Unabhängigkeitstag wurde immer groß gefeiert.
    Zum ersten Mal zeigte sich auf Osondus Gesicht so etwas wie ein Lächeln. »Damals war ich jünger als du! Anthony hat sich um mich gekümmert.« Die Erinnerung schien seine schlechte Laune etwas zu mildern. »Und wie mir scheint, hat sich der alte Sturkopf nicht geändert«, fügte er mit einem schnellen Seitenblick auf die beiden Straßenjungen neben ihm hinzu.
    Yoba war begeistert. »Aber dann seid Anthony und du ja Helden!«, stellte er fest.
    Mit einem Mal erschien ihm der grauhaarige, miesepetrige Mann hinter dem Steuer in einem vollkommen anderen Licht.
    »Helden!?« Osondu lachte bitter. »Das ist wirklich lange her!«
    »Aber ihr

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