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Der Schrei des Löwen

Der Schrei des Löwen

Titel: Der Schrei des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin Ramadan
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bestimmt besser gehen. Da bin ich mir sicher.«
    Wie schlecht die Chancen auf Heilung wirklich standen, noch dazu unter diesen Bedingungen, verschwieg er Yoba lieber.
    »Aber jetzt musst du mir ebenfalls eine Frage beantworten: Als wir unsere Tickets gekauft haben, hat uns Ali, der Libyer, erzählt, ihr hättet mit Dollars bezahlt. Stimmt das? Wenn ihr aus eurem Dorf fliehen musstet – woher habt ihr dann so viel Geld? Habt ihr es gestohlen?«
    »Darüber will ich nicht reden«, entgegnete Yoba schnell. An Big Eagle und seine Rache mochte er jetzt nicht denken. »Es ist sowieso nichts mehr davon übrig«, log er. »Es ist alles für die Tickets draufgegangen.«
    Er durfte nicht zu unvorsichtig werden, aber Babatunde war ohnehin zu müde. »Jetzt lass uns endlich schlafen!«, sagte er und streckte sich. »Sonst fallen wir morgen womöglich noch vom Lastwagen. Und eins kann ich dir versprechen: Niemand würde deswegen anhalten!«

23.
    Am nächsten Morgen war Yoba früh wach. Noch bevor die Sonne aufging und der Muezzin die Gläubigen zum ersten Gebet des Tages rief, weckte er Chioke. Er teilte Big Eagles Geld in zwei Häuflein auf – es war noch immer ein Vermögen – und stopfte seinem Bruder den kleineren Packen in die Unterhose. Den Rest verstaute er in seiner eigenen. Das war zwar unangenehm und kratzte jetzt schon, aber es war das sicherste Versteck. Danach überprüfte Yoba zum hundertsten Mal ihren Proviant. Ihm durfte auf keinen Fall ein Fehler unterlaufen, denn das konnte in der Wüste tödlich sein. So viel hatte er inzwischen begriffen.
    Nur eine halbe Stunde später waren sie auf dem Autohof. Nachdem er den richtigen Lkw gefunden hatte, setzte er sich mit Chioke auf den Boden daneben, um den Sonnenaufgang zu betrachten. Sie waren die ersten Fahrgäste, aber Yoba wollte unbedingt einen guten Platz ergattern. Deshalb hatte er auch nicht abwarten wollen, bis Babatunde und seine Freunde endlich ihren Dattelweinrausch ausgeschlafen hatten. Sie würden ohnehin bald auftauchen, denn ihre Tickets galten für den gleichen Laster.
    Yoba war überrascht, wie viele Menschen die Nacht in dem Autohof verbracht hatten. Überall lagen zusammengerollte und nur notdürftig bedeckte Gestalten auf der Erde. Die Muslime unter ihnen verrichteten verschlafen ihr Morgengebet, andere drehten sich um und dösten einfach weiter. Sie wollten wenigstens noch ein paar Minuten die Kühle der Nacht und die Ruhe des Morgens genießen. Am anderen Ende des Autohofs entdeckte Yoba die drei bettelnden Kameruner. Sie hatten ihren Überlebenskampf bereits wieder aufgenommen und flehten jeden an, der zu dieser frühen Stunde das Gelände betrat. Yoba wendete sich ab. Den Anblick der Gestrandeten ertrug er nicht. Unterwegs zu scheitern erschien ihm noch grausamer, als in der Wüste zu verdursten. Das ging wenigstens schneller. Dagegen dauerte Verhungern eine Ewigkeit, wie er aus eigener Erfahrung wusste.
    Mit den ersten Sonnenstrahlen erwachte der Autohof zum Leben. An den Essensständen wurden die Öfen entfacht und die Menschenschleuser öffneten ihre Reisebüros. Yoba schärfte seinem Bruder ein sich nicht von der Stelle zu rühren. Dann verließ er ihren Platz, um beim Wasserhändler drei gefüllte,mit Pappe und Säcken umwickelte Plastikkanister zu kaufen. In ihrem vorherigen Leben waren die Behälter lediglich mit Speiseöl gefüllt gewesen, also nichts Giftigem. Darauf hatte Yoba geachtet. Natürlich trieb das den ohnehin schon horrenden Preis noch einmal in die Höhe, aber immerhin war die Benutzung des Filzstiftes umsonst. Yoba schrieb in dicken Buchstaben Chiokes und seinen Namen auf die Papphülle ihrer Kanister, dann band er sie mit den dazugehörigen Schnüren gut an der Seite des Lastwagens fest. Ihre Kanister waren die ersten, bis zur Abfahrt würden noch mehr als hundert weitere folgen.
    Als Yoba wieder von dem mächtigen Hinterreifen heruntersprang, auf den er zum Anbringen der Kanister geklettert war, bemerkte er, dass der Reifen kaum noch Profil hatte. Und auch sonst vermittelte das rostige Ungetüm von einem Laster bei genauerer Betrachtung nicht gerade einen vertrauenerweckenden Eindruck. Der Rahmen war bereits an mehreren Stellen nachträglich geschweißt worden. Aber die Fahrer würden schon wissen, was sie taten, dachte Yoba. Sie machten die Tour bestimmt nicht zum ersten Mal und Selbstmörder waren sie ganz sicher auch nicht. Dennoch wünschte er sich, die Straßenkinder hätten ihm nicht Anthonys Gri-Gri gestohlen.

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