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Der Schrei des Löwen

Der Schrei des Löwen

Titel: Der Schrei des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin Ramadan
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fahrenden Lastwagen her.
    »Wir fahren nicht mit!«, rief er Yoba zu. »Maurice ist krank!«
    Alle auf der Ladefläche hörten gebannt zu.
    »Aber was fehlt ihm denn?«, schrie Yoba zurück. »Gestern war er doch noch gesund?« Die Schulter eines Mitreisenden knallte ihm im Gedränge gegen das Kinn.
    »Wir wissen es nicht!«, rief Babatunde. »Aber ohne Maurice können wir nicht weiter. Du kennst doch unseren Schwur!«
    Der Lkw fuhr durch das Tor des Autohofs und bog auf die staubige Straße ein. Babatunde blieb in der Ausfahrt stehen und blickte dem davonfahrenden Laster hinterher. Er machte einen niedergeschlagenen Eindruck.
    »Wir sehen uns in Europa!«, schrie ihm Yoba aus Leibeskräften zu. »Ich warte auf euch!«
    Danach verschwand Babatunde aus seinem Blickfeld. Betrübt kämpfte sich Yoba zurück zu seinem Bruder und ihrer Tasche. Er wusste, wie unwahrscheinlich es war, Babatundeund seine Freunde jemals wiederzusehen. Wenn Maurice wirklich krank war, würden sie das Reisegeld für seine Behandlung ausgeben müssen. Yoba konnte nur hoffen, dass genug übrig blieb. Sonst würden sie bald auch zu den unzähligen Gestrandeten gehören, die überall in der Stadt vor sich hin vegetierten und langsam zu Grunde gingen.

24.
    Der Verlust seiner Gefährten stimmte Yoba traurig. Auch wenn er Babatunde und seine Freunde gerade erst getroffen hatte, hätte er gerne jemanden an seiner Seite gehabt, dem er vertrauen konnte. So aber war er wieder ganz auf sich gestellt und die Verantwortung für Chi-Chi lastete allein auf seinen Schultern.
    Der Lastwagen schlich stadtauswärts und schon bald hatten sie Agadez hinter sich gelassen. Sie befanden sich mitten im Niemandsland. Babatunde hatte Recht gehabt: Jenseits der Stadt gab es keine Straßen mehr. Der Fahrer orientierte sich einfach an den Spuren, die Tausende von Lkws und Jeeps vor ihm in der sonnenverbrannten Felslandschaft hinterlassen hatten.
    Yoba schwitzte wie noch nie in seinem Leben. Es war nicht einmal Mittag, aber schon jetzt empfand er die Hitze als unerträglich. Die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel und inmitten der dicht gedrängten Menschenleiber blieb kaum Luft zum Atmen. Wie er das die nächsten zwei Wochen aushalten sollte, war ihm schlichtweg ein Rätsel. Bei jeder Bodenwelle schwankte der haushohe Laster wie ein sinkendes Schiff hin und her. Diejenigen, die außen an den Seitenwänden auf dem Gepäck und über ihm auf den Metallbügeln saßen, hatten größte Not, nicht herunterzufallen. Für Chioke hingegen war das Ganze ein einziger Spaß. Bei jeder heftigeren Schaukelbewegung fing er an zu kichern, wofür er sich von den Mitreisenden jede Menge böse Blicke einhandelte. Yoba versuchte zu ihm zu gelangen, aber er war hoffnungslos zwischen der Frau mit dem Baby und einem übel riechenden Burschen mit faulen Zähnen eingequetscht. Das war auch der Grund, warum er das Unheil nicht kommen sah.
    Mit einem Mal wurde Yoba gegen seinen Vordermann geschleudert. Der Fahrer hatte abrupt auf die Bremse getreten. Die zusammengedrängten Menschen wogten hin und her, einige fielen sogar herunter und landeten unsanft auf dem brettharten Sand. Schreie erklangen, dann brüllte jemand etwas Unverständliches auf Französisch. Kurz darauf mussten alle aussteigen.
    Als Yoba und Chioke von der Ladefläche kletterten, erkannte Yoba den Grund für den außerplanmäßigen Halt: Ungefähr ein Dutzend Soldaten hatten den Lastwagen gestoppt. Sie trugen die Uniform der nigrischen Armee und es machte den Eindruck, als hätten sie nur auf den aus der Stadt kommenden Laster gewartet. Alle Passagiere mussten sich in langen Reihen auf die Erde knien und die Arme hinter dem Kopf verschränken. Anschließend gingen drei Soldaten die Reihen entlang und forderten von jedem einzelnen Reisenden Geld. Während ihre Kameraden feixend an ihren Jeeps lehnten und Bier aus einer Kühlbox tranken, betrieben die drei routiniertihr Geschäft. Um sich das mühsame Durchwühlen des Gepäcks zu sparen, waren sie darauf bedacht, von Beginn an für klare Verhältnisse zu sorgen. Dabei gingen sie überaus brutal vor. Als ein Mann einige Plätze vor Yoba erklärte, er habe nichts mehr, weil er schon so oft ausgeraubt worden sei, rammte ihm ein Soldat, ohne zu zögern, den Gewehrkolben ins Gesicht. Der Mann spuckte Blut und Zähne. Yoba traute sich nicht, auch nur einen Finger zu rühren. Wenn die Soldaten auf die Idee kamen, ihn zu durchsuchen, und das Geld in seinen Unterhosen fanden, war es aus. Aus

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