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Der Schrei des Löwen

Der Schrei des Löwen

Titel: Der Schrei des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin Ramadan
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dem Augenwinkel bemerkte er, wie sein Bruder unruhig auf den Knien herumrutschte. Yoba schloss die Augen und betete, dass Chioke ruhig blieb.
    Einem weiteren Mann, der nicht zahlen konnte oder wollte, trat einer der Soldaten so heftig an den Kopf, dass sein Ohr wie eine reife Melone in zwei Hälften platzte. Als die jungen Soldaten der Mutter das Baby wegnahmen und damit drohten, es einfach in den Sand zu werfen, schrie sie wie eine Wahnsinnige. Sie gab ihnen alles, was sie unter ihren weiten Gewändern versteckt hatte. Auch die anderen eingeschüchterten Reisenden leerten nun hastig ihre Taschen oder warfen ihre Armbanduhren in die aufgehaltene Plastiktüte. Yoba gab den Soldaten alle Dollarscheine, die er für Notfälle lose in die Hosentaschen gesteckt hatte. Diejenigen, die sich weiterhin hartnäckig weigerten und nichts in die Tüte warfen, wurden an den Haaren zur Seite geschleift. Sie wurden von den Bier trinkenden Soldaten so lange mit Fußtritten und Gummischläuchen traktiert, bis sie aufgaben oder die Schläger ihrer schweißtreibenden Arbeit überdrüssig wurden. Am Ende, als der Laster endlich weiterfahren durfte, blieben acht jungeMänner zurück. Die Soldaten zwangen sie ihre Gepäckbündel von der Bordwand zu schneiden und zu Fuß in die Stadt zurückzugehen. Die Unglücklichen hatten nichts mehr besessen, was den Soldaten wertvoll genug erschien. Nun mussten sie hilflos mit ansehen, wie der Laster ohne sie weiterfuhr. Und mit ihm alle ihre Hoffnungen.
    Der Lkw setzte seine Fahrt durch die vor Hitze flirrende Landschaft fort. Die Stimmung unter den Passagieren war nach dem Zusammentreffen mit den plündernden Soldaten bedrückt. Man unterhielt sich in gedämpftem Ton. Jeder hatte mitbekommen, wie der Anführer der Soldaten ihre beiden Fahrer mit Namen angesprochen und ihnen zum Abschied Allahs Segen gewünscht hatte. Offenbar steckten sie unter einer Decke. Aber was sollten sie dagegen tun? Sie waren dem dicken Tunesier und dem Libyer auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
    Auch Yoba war schockiert. Sein Bruder schien den Vorfall so schnell vergessen zu haben, wie es eben seine Art war, aber ihn selbst ließ das Erlebnis nicht los. Die Brutalität der Soldaten hatte sich tief in sein Gehirn gebrannt. Jetzt machte er sich große Sorgen. Ein Lastwagen, randvoll bepackt mit wehrlosen Fremden, von denen keiner richtige Papiere besaß, war ein viel zu lohnendes Ziel, um es einfach unbeachtet zu lassen. Es war gut möglich, dass dies nicht der letzte Vorfall dieser Art gewesen war.
    Ein Schlagloch riss Yoba aus seinen Gedanken und der Kopf seines Bruders rutschte ihm von der Schulter. Chioke öffnete kurz die Augen, dann lehnte er sich wieder an seinen älteren Bruder und versuchte weiter im Stehen zu schlafen. Obwohlder Lkw im Schneckentempo dahinkroch, schwankte er bei jeder Unebenheit des Bodens hin und her und mit ihm die zusammengezwängten Menschen. Einige standen mit geschlossenen Augen da, andere waren ständig darum bemüht, eine bequemere Position zu finden. Viel geredet wurde nicht, und wenn, dann meist in Sprachen, die Yoba nicht verstand. Aber für lange Gespräche war es ohnehin viel zu heiß. Jeder war damit beschäftigt, irgendwie durchzuhalten und nicht die Nerven zu verlieren.
    Ein Schweißtropfen rann Yobas Nase hinab und blieb an ihrer Spitze hängen. Das kitzelte, aber weil er in dem Gedränge seine Arme kaum heben konnte, wurde er ihn nicht los. Am Ende tropfte er seinem Vordermann in den Nacken. Da Yoba auf einem Karton mit Bohnenkonserven stand, konnte er so eben über die mannshohe Seitenwand und das daran befestigte Gepäck hinwegsehen. Nur der Kopf seines Vordermannes versperrte ihm die Sicht. Seit Mittag krochen sie nun schon über eine zerfurchte, mit kleinen runden Steinen übersäte Ebene. Sie schien gar kein Ende zu nehmen. Ihre Ränder verschwammen mit dem flirrenden Bogen des Horizonts und man hatte den Eindruck, der schaukelnde Lastwagen käme trotz aller Bemühungen keinen Meter vorwärts. Irgendwann entdeckte Yoba in der Ferne ein mächtiges Gebirge, aber ansonsten gab es in dieser Einöde absolut nichts zu sehen. Die gigantische Schotterebene änderte lediglich ihre Farbe von Weißgelb zu Schwarz.
    Yoba hatte sich die große Wüste stets vorzustellen versucht. Seit ihrer Flucht aus Aba hatte er alle Geschichten über sie in sich aufgesogen wie ein Schwamm. Aber die Wirklichkeit übertraf jegliche Vorstellungskraft. Die permanente, gleißende Helligkeit drohte ihm ebenso

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