Der Schreiber von Córdoba
Brot.
Ein kleiner Junge lächelt in sich hinein,
als ich esse.
Ich verdiene seine Freundlichkeit nicht.
Na, egal.
Der Magen, das habe ich
schon vor Langem gelernt,
hat keine Seele.
Verzögerung
Ich bin schon sechs Tage hier
und habe nichts unternommen.
Ich muss einen Plan fassen – irgendeinen Plan –,
und zwar bald.
Und was ist mit diesen Juden?
Niemand weiß, wann dieses Schiff Segel setzen wird.
Wer kann sagen, ob wir nicht noch die vollen vier Monate,
die uns bleiben, in diesem Laderaum sitzen werden?
Diese Leute werden es nicht schaffen.
Das Wetter wird wärmer.
Sie fangen an, krank zu werden.
Eines Nachts ist mir so heiß, dass ich sicher bin,
ich werde aufplatzen wie eine Blase. Hat mich ein Fieber erwischt?
Ich rieche Rauch. Ich fahre in die Höhe. Ich bin hellwach.
Das Schiff brennt.
Jemand schreit.
»Feuer!«, ertönt ein Ruf.
Überall Panik. Frauen
und Männer stürzen sich wie die Tiere
zur einzigen Tür, die an Deck führt.
Weit oben höre ich das Wasser aufspritzen von denen, die hinauskamen
und sich ins Meer warfen.
Können sie nicht schneller machen?
Direkt hinter mir bricht ein Teil der Decke des Laderaums ein.
Ein Balken leckt die Luft mit einer Feuerzunge.
Ich bin beinahe draußen. Dann fällt es mir wieder ein –
die Sklaven . Wer wird ihre Ketten lösen?
Schlüssel
Endlich bin ich an Deck.
Es ist wie eine Szene
auf einem Gemälde. Keine schöne.
Eine Szene vom Weltuntergang.
Meine Augen suchen die Menge nach dem Bootsmann ab.
Ich habe mich lange genug auf Schiffen herumgetrieben,
um zu wissen – ein Mann hat die Schlüssel.
Der Wolfskapitän erblickt mich.
Er brüllt vor Empörung auf und zeigt in meine Richtung.
Der Mann ist verrückt! Wen kümmert es, dass ich hier bin,
inmitten von alledem?
Ich habe mich geirrt. Die Schlüssel zu diesem Schiff
hat nicht der Bootsmann.
Der Wolf hebt einen großen Schlüsselring
hoch über seinen Kopf. Er schaut mir in die Augen.
Zieht seinen Arm, dick wie ein Baumstamm, nach hinten.
Und schleudert die Schlüssel, so weit er kann,
ins Meer.
Letztes Meisterstück
Ein Schrei gellt durch die Luft.
Ein Kind liegt mir lichterloh brennend
zu Füßen.
Ich erkenne es wieder.
Es ist der Junge, der das Brot
neben mich gelegt hat im Schiffsbauch.
Selbst wenn es der Kapitän wäre –
oder der Inquisitor Torquemada –
ich weiß, was Papa
von mir erwarten würde.
Ein schneller Blick rundum.
Ich sehe nur Sklaven.
Ich habe keine Zeit, mich zu fragen,
wie sie freigekommen sind. Mich interessiert,
was sie anhaben. Nichts
als ein zerrissenes Lendentuch, allesamt.
Also bleibt mir keine andere Wahl.
Ich löse die Spange an meinem Hals.
Hole tief Luft.
Dann werfe ich mich auf den Jungen.
Ich ersticke die Flammen
mit meinem letzten Meisterstück.
Mein schöner Umhang
und sein Inhalt:
Asche und Rauch.
Das Boot Charons
Ich sehe den Jungen aufstehen.
Ohne einen Blick zurück
springt er ins Wasser.
Fetzen von verbranntem Stoff flattern hinter ihm her
wie ein treuer Schwarm winziger Fledermäuse.
Er schwimmt auf etwas zu:
Ich sehe nicht richtig, was.
Dann erkenne ich im Feuerschein
einen schwarzen Umriss.
Ist es ein Boot?
Wenn ja, wer lenkt es?
Ist es das Boot, von dem ich so oft
in Geschichten gelesen habe – das von
Charon geführt wird, dem Diener des Todes?
Es bringt einen über das Meer des Vergessens
direkt in die Hölle.
Aber welche Hölle könnte schlimmer sein
als dieses brennende Schiff?
Flammen lecken an den Absätzen
meiner Stiefel.
Auch ich springe ins Wasser und schwimme.
Ausgestreckte Hand
Das Meer schäumt von wild rudernden Gliedmaßen.
Alle, die noch leben, streben dem schattenhaften Boot zu.
Obwohl mich meine Stiefel in die Tiefe ziehen,
schaffe ich es irgendwie,
mich oben zu halten.
Jetzt sehe ich eine Hand.
Sie macht wieder und wieder
dieselbe Bewegung.
Die Hand ist ausgestreckt.
Ein Verzweifelter ergreift sie.
Ein Schwimmer wird hinaufgezogen
auf das Rettungsfloß.
Jetzt bin ich dran.
Die Hand streckt sich aus.
Der Mann, dem sie gehört,
blickt hinter sich.
»Rückt zusammen. Macht Platz.
Legt euch übereinander,
wenn es sein muss.«
Ich brauche einen Moment, um zu begreifen,
was er gesagt hat:
Er spricht Arabisch.
Ich zögere.
Als der Mann spürt,
dass seine Hand noch leer ist,
schaut er her.
Und so sehe ich mich wieder
Aug in Auge mit Amir.
Beide warten wir – einen Herzschlag lang.
Würdigere
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