Der Schritt hinueber - Roman
Frau erwiderte aufgebracht: Das sagst mir du! – Fini verstand einiges ganz genau. Was schrie er da jetzt. – Ein Kind! schrie Herr von Wilnow, und ich soll dir glauben, daß es von mir ist, nie werde ich dir das glauben! – Aber du mußt es mir glauben …
Axel in der kleinen Stube hörte selber nicht, daß er schrie. Er war außer sich. Für ihn war es wie ein Punkt in seiner Geschichte mit Susanna. Ein Kind. Ihre Eröffnung, deretwegen sie ihn so dringend herbestellt hatte, – und darauf hatte er ja gewartet und hatte gedacht, dann bekomme ich sie endlich, und dann habe ich etwas Ganzes, etwas Neues, – das ist es, was ich brauche, was ich haben will, – dann fangen wir von vorne an, und es lohnt sich, – und jetzt war es Kolja, dem er sich gegenübersah; – und nicht erst seit gestern.
Als Fini eine Weile später, nachdem sie sich durch Stampfen und Räuspern bemerkbar gemacht hatte, in die Stube trat, sah sie die beiden feindselig kalt einander gegenübersitzen.
Stör ich? fragte sie in die Stille.
Susanna schüttelte den Kopf. Nein, Fini, Herr von Wilnow will gehen!
Ja, ich gehe! sagte Axel.
Er sah auf sie.
Ja, ich geh jetzt, sagte er nochmals. Und du wohnst ja jetzt im Dorf hier, da brauchen wir keinen bestimmten Tag mehr auszumachen.
Nein, das brauchen wir nicht, sagte sie. Dann nahm sie seine Hand. Dann sah sie ihm nach, wie er sich bückte unter der Tür und in die Nacht trat.
Finis Stimme rief sie zurück. Dieser Kolja, – sicher hat Ihnen Herr Axel jetzt von Kolja erzählt? Was dem auch einfällt! Ich habe es zuerst nicht glauben wollen, aber drüben bei der Basl sagen die Leute, sie hätten ihn schon neulich, am Sonntagabend, gesehen, und heute …
Was heute?
Aber er ist doch im Dorf gewesen! Den ganzen Nachmittag bis zum Abend im Dorf!
Wie, hier, – bei uns?
Ja, hat es Ihnen Herr Axel denn nicht erzählt? Und betrunken und wüst, und wie ein Irrsinniger ist er hin und her geritten bis an die Häuser heran und hat immer gefragt nach einem Hund und nach einer Frau, ob nicht irgendwo eine Frau zugezogen ist mit einem Kind.
Fini, das ist doch nicht möglich! Haben Sie sich nicht getäuscht? Das kann doch nicht sein! Das war jemand anderer!
Ich weiß nicht. Ich habe ihn ja nicht gesehen. Aber wenn er so fragt. Und die Leute sagen, auf einem Schimmel!
Susanna blickte unsicher. Nicht bloß aus Mitleid, weil Kolja es sich zu Herzen nahm, sondern aus Furcht, er könne sie stellen. Und dann war es plötzlich mehr auch als Furcht – ein Schaudern, daß sie selbst es war, von der das alles kam; – dieses Nichtglauben, eine Fesselung, Gefangenschaft, Knechtschaft, es muß sich doch wegnehmen lassen, ein Wort ist genug, und die Fesseln fallen, die Gefangenen sind frei, und statt Verwechslung muß die Wahrheit zutage treten.
Aber das war noch nicht alles an dem Abend. Fini sagte: Ja, – beinahe hätte ich vergessen, ein Brief. Da ist jemand durchgelassen worden an der Straße, jemand fürs Pfarramt, und hat einen Brief abgegeben für Sie.
Susanna las ihren Namen auf dem Umschlag. Es war nicht die Handschrift ihres Mannes. Aber es war doch ein Brief von ihrem Mann, ein zusammengefalteter Zettel, und ein zweiter Zettel, der dabei lag, klärte sie auf: den Umschlag hatte der Pfarrer hergegeben für diesen verwischten, abgerissenen Zettel eines Heimkehrers, der seine erste Nachricht sandte. Ja, er war wenigstens da jetzt! Und es ging ihm gut. Er arbeitete schon eine ganze Weile in dem Lazarett in der Stadt, in dem zahntechnischen Labor, und dies war die erste Gelegenheit, einen Brief zu schicken. Nachhause durfte er ja noch nicht. Das ging nicht wegen der Absperrung. Aber wenn von drüben jemand zu ihm könnte? Und er bat um Nachricht.
Viertes Kapitel
Durch die Wand
Immer geschieht etwas anderes, als das, was geschieht. Aber dieses andere läßt sich nicht erkennen. Nur was als Geschichte geschieht, läßt sich erkennen. Was eigentlich geschieht, läßt sich nicht herunterdrehen auf eine Geschichte. Es geht anders weiter, nicht in „bestimmten Tagen“ oder Briefen, die ankommen. Die Worte kommen an. Aber sie erzählen nicht eine Geschichte. Sie machen selbst das, was geschieht. Die Geschichte hört auf, trotzdem geht etwas weiter auch nach diesem bestimmten Tag.
Für Susanna endete dieser Tag in der Stube der Fini. Nicht für Kolja, der gegen Mitternacht den Bemelmanhof umkreiste, betrunken und angetrieben von dem Wahn, Kosanna könne sich noch irgendwo zeigen; und am nächsten Tag
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