Der Schritt hinueber - Roman
wußte sich nicht zu deuten warum. Und auch Susanna wußte gerade das noch nicht. Ihr drehte sich nur etwas im Kopf, sie saß auf dem Bett, es kam ihr vor, als wäre sie tot. Was hat er nur gemacht, dachte sie, Kolja hätte das nicht gemacht, der Kapitän auch nicht. Sie erinnerte sich nicht, wie es früher gewesen war: Axel, – Axel und sie, und der „bestimmte Tag“. Aber nun:
du erkennst mich doch
und du willst doch, daß ich dir glaube, –
die Worte hatten sich ihr wie Buchstaben eingedrückt, sie fühlte es wie eine feine, neue, beschriebene Haut über der alten unschuldigen Haut, –
du willst doch, daß ich dir glaube!
es zog wie Erstarrung über sie hin: dieser Hauch von Worten hatte sich niedergeschlagen und war erkaltet, nun konnte sie es abtasten, eine Lasur, an den Schläfen, in den Augenhöhlen, auf der Stirn. Sie dachte: das hat er mir gemacht; ich fühl mich anders an, ich muß auch anders aussehen. Nun kann ich nicht mehr viel tun. Aber daß sie mir alle glauben, das kann ich noch tun. Ich weiß jetzt, wie das geht. Es sind gar keine Worte nötig. Nur diese neue Haut ist nötig, die sich anrühren läßt von der Frage: du willst doch, daß ich dir glaube?
Wenn nun jemand sagt: zieh dieses Kleid an,
so ziehe ich es an;
wenn jemand sagt: iß das,
so esse ich;
wenn jemand sagt: komm, wir unterhalten uns,
so unterhalte ich mich.
Und alle finden, daß ich freundlich bin
und gut bin und es richtig mache.
Sie freuen sich alle,
weil ich ein Kind erwarte.
Und alle glauben mir.
Auch Kolja wird mir glauben, glaubst du nicht, Susanna?
Sie nahm sich zusammen. Fini darf es nicht merken, und ich sitze ja auch ganz ruhig da. Sie sah auf ihre Nägel, auf ihre Fußnägel, sie hatte dünne Strümpfe an, aber keine Schuhe, da kamen ihr die Nägel wie kleine verschleierte Augen vor, und sie konnte sich in ihnen spiegeln, es gab winzige Bilder, und auf einmal sah sie überall an der blinden Oberfläche der Dinge solche Augen. Sie dachte: ich bin doch Susanna Jorhan! Sie sagte: Sehen Sie Fini, Axel war nun doch nochmals hier, und er war gar nicht mehr böse, ach, wissen Sie, das sind so Launen, jeder Mann hat Launen, aber man muß nur wissen, wie man sie vertreibt, ach, Fini, Sie wissen freilich davon gar nichts!
Fini sah erschrocken zu ihr herüber, – was waren das für Reden! Und wie sie dasaß, mit Flecken im Gesicht, aufgeregt, aufgelöst auf dem Bett. Fini sagte: Aber warum ist er gleich weggelaufen, und er hat so sonderbar ausgesehen!
Wie sonderbar?
So als hätte sich etwas abgespielt. Nicht gut!
Susanna sagte: Nein, Fini, was denken Sie! Im Gegenteil, es hat sich gar nichts abgespielt, es ist alles sehr gut gegangen. Aber Sie haben auch wieder recht, – gewiß, sonderbar, Fini! Es hat sich ja auch etwas geändert für ihn, er fängt nämlich jetzt an, mir die Geschichte mit Kolja zu glauben. Und passen Sie auf, ich bringe auch Kolja noch so weit.
Fini blickte ängstlich, es wollte ihr nicht in den Sinn, was das alles bedeutete. Susannas Reden, und auch Axel so sonderbar, – er sieht mich gar nicht, läuft weg wie ein Gespenst, – es ist etwas geschehen auch mit ihm.
Bei Axel drehte es sich nicht im Kopfe. Im Gegenteil, seine Gedanken kamen von einem einzigen Geleise nicht los. Sie mußten darauf immer hin und her: ja und nein, ja, ich glaube, jetzt könnte ich ihr glauben, sie hat doch gesagt, wenn du mir vielleicht jetzt glaubst. Aber nein, das ist kein Beweis. Vielleicht hat sie es mit Kolja auch so gemacht, damit er ihr glaubt? Dann müßten wir ihr beide glauben. Das Laub flirrte vorüber und spiegelte ihm die kleinen Eilande des Lichts aus den Lücken ins Gesicht. Er zwinkerte nicht. Er ging nur in seinen Gedanken dahin. Ja und nein, nein, das kann sie immer machen, mit jedem.
Nachmittags saß er vor der Mühle und hörte die Mahlsteine und starrte in das grünfließende Wasser und dachte: wenn ich nun doch noch einmal zu ihr gehe und sie einfach wieder frage? Vielleicht kann ich es ihr morgen, beim nächstenmal besser glauben? Er dachte, einmal und noch einmal, und vielleicht nach vielen Malen.
Aber dann blieb er auf seinem Geleise stehen und sagte wieder: Nein. Es ist doch ganz anders. Für mich gibt es hier kein Vielleicht und kein Morgen. Ja, wenn es nichts als dieses Abenteuer gewesen wäre! Aber sie bekommt doch ein Kind, und ich soll sagen, es ist meines, und werde doch niemals wissen, ob es auch wirklich mein Kind ist!
Er hörte gar nicht zu, als der Müller zu ihm
Weitere Kostenlose Bücher