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Der schüchterne Junggeselle

Der schüchterne Junggeselle

Titel: Der schüchterne Junggeselle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. G. Wodehouse
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mußt brav sein, Vater. Geh gleich hinauf und sei zu allen sehr nett. Ich werde hierbleiben und Mr. –«
    »Er heißt Pinch«, sagte Mr. Waddington, widerwillig aufstehend und auf die Tür zuschreitend. »Ich habe ihn draußen auf der Straße kennengelernt, wo Männer Männer sind. Laß dir von ihm alles über den Westen erzählen. Ich habe noch nie jemand so fesselnd erzählen hören. Mr. Winch hat mich geradezu im Bann gehalten. Tatsächlich im Bann. Und mein Name«, schloß er, nicht ganz zusammenhängend, während er nach dem Türgriff tastete, »ist Sigsbee Horatio Waddington, und es ist mir ganz gleichgültig, wer ihn kennt.«
3
    Das Schlimmste für den schüchternen Mann ist, daß er in den tatsächlichen Krisen des wirklichen Lebens ein ganz anderer ist als die kühne und nie verlegene Persönlichkeit, deren Bild er sich in seinen einsamen Tagträumen ausgemalt hat. Als George Finch sich in der Situation fand, nach der er sich so oft gesehnt hatte – allein mit dem geliebten Mädchen –, war ihm zumute, als würde ihm sein wahres Wesen plötzlich entrissen und im entscheidenden Augenblick durch einen unzulänglichen Vertreter ersetzt.
    Der George, den er aus seinen Tagträumen kannte, war ein Prachtkerl – liebenswürdig, ungeniert, nie verlegen um guten Gesprächsstoff. Er sah nett aus, und so sehr sein Geist auch funkelte, war es doch offenbar, daß sein Herz immer am rechten Fleck war und daß es trotz seinen wunderbaren Gaben auch nicht ein Atom von Selbstgefälligkeit in ihm gab. Seine Augen hatten ein amüsantes Zwinkern; sein Mund verzog sich hin und wieder zu einem bezaubernden Lächeln; seine Hände, die kühl und nie feucht waren, sahen künstlerisch aus, und seine Hemdbrust stand nicht vor.
    Wie ganz anders war der widerwärtige Wechselbalg, der jetzt in der Bibliothek auf einem Bein stand! Erstens einmal hatte der Bursche sich offenbar das Haar seit einigen Tagen nicht gebürstet. Außerdem hatte er sich die Hände nicht gewaschen, und aus irgendeinem Grund waren sie angeschwollen und blaurot. Nicht genug an dem, seine Hosen waren an den Knien ausgebeult; sein Binder rutschte zum linken Ohr hinauf, und seine Hemdbrust ragte vor wie die Brust einer Kropftaube. Ein scheußlicher Anblick.
    Trotzdem, das Aussehen ist nicht alles; und wenn dieses jämmerliche Geschöpf nur ein Zehntel von der Unterhaltungsgabe des Tagtraum-Georges gehabt hätte, wäre noch immer etwas aus dem Schiffbruch zu retten gewesen. Aber er schien nicht mehr zu können als sich zu räuspern. Und welchen hübschen Mädchens Herz ist schon durch fortgesetztes rauhes Räuspern gewonnen worden?
    Nicht einmal eine einigermaßen zufriedenstellende Miene konnte er aufsetzen. Als er seine Züge (wie sie nun schon einmal waren) entspannen wollte, um ein bezauberndes Lächeln zu produzieren, grinste er bloß jämmerlich. Als er sich zwang, nicht zu grinsen, erstarrte sein Gesicht zu einer finsteren Mörderfratze.
    Aber die Unfähigkeit zu sprechen war es, was George an der Seele fraß. Seitdem Mr. Waddington gegangen war, herrschte etwa sechs Sekunden Schweigen; George Finch jedoch schien eine gute Stunde vergangen zu sein. Er zwang sich zu einem Satz.
    »Ich heiße«, sagte George leise und heiser, »nicht Pinch.«
    »Nein?« fragte das Mädchen. »Wie nett!«
    »Auch nicht Winch.«
    »Das ist ja noch besser.«
    »Ich heiße Finch. George Finch.«
    »Herrlich!«
    Sie schien wirklich erfreut zu sein. Sie lächelte ihn so strahlend an, als hätte er ihr gute Botschaft aus einem fernen Land gebracht.
    »Ihr Vater«, fuhr George fort, der nichts hinzufügen konnte, was das Thema weiter entwickelt hätte, aber auch nicht fähig war, es zu verlassen, »dachte, ich heiße Pinch. Oder Winch. Aber das stimmt nicht. Ich heiße Finch.«
    Sein Auge, das nervös im Zimmer umhersuchte, fing ihren Blick auf, und zu seiner Überraschung sah er, daß in ihrer Miene nichts von dem Abscheu stand, den sein Aussehen und sein Benehmen seiner Meinung nach in jedem vernünftigen Mädchen erwecken mußten. Zum erstenmal leuchtete ein ferner, schwacher Lichtschimmer in Georges Finsternis. Zu behaupten, daß er Mut gewann, wäre übertrieben, aber in der Nacht, die ihn einhüllte, schien für einen Augenblick ein Stern aufzufunkeln.
    »Wie haben Sie Vater kennengelernt?«
    Darauf konnte George antworten. Wenn man ihn fragte, war alles gut. Nur die Notwendigkeit, Gesprächsthemen zu erfinden, verwirrte ihn. »Ich traf ihn draußen vor dem Haus, und als er

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