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Der schüchterne Junggeselle

Der schüchterne Junggeselle

Titel: Der schüchterne Junggeselle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. G. Wodehouse
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Bilder.«
    Mrs. Waddington gab keine Antwort, denn eine furchtbare Entdeckung hatte sie plötzlich gelähmt. In ihrem Unterbewußtsein war sie unruhig gewesen, seitdem Molly in ihrem Zimmer gesagt hatte: »Ein Mann, den ich gern haben könnte, wäre, glaube ich, so ein etwas zarter, kleiner Mann, mit netten braunen Augen und hübschem kastanienbraunem Haar.« Mrs. Waddington sah George an. Ja! Er war etwas zart und auch etwas klein. Seine Augen waren wohl weit davon entfernt, nett zu sein, aber braun waren sie, und sein Haar sah unleugbar kastanienbraun aus.
    »… würgt er so und wird rot und verrenkt die Finger und macht komische Geräusche und steigt von einem Fuß auf den anderen …« Das war die Fortsetzung der Schilderung, und genauso benahm sich der junge Mann vor ihr. Mrs. Waddington war überzeugt, es war kein Phantasiegebilde gewesen, das Molly beschrieb, sondern ein lebendiges, atmendes Ekel, und das war er.
    Und Künstler war er auch! Mrs. Waddington schüttelte sich. Von all den vielen tausend Individuen, aus denen das bunte Leben New Yorks besteht, waren die Künstler ihr die widerwärtigsten. Sie hatten nie Geld. Sie schweiften aus und waren kraftlos. Sie besuchten in seltsamen Kostümen die Feste in Webster Hall und spielten häufig Ukelele. Und dazu gehörte dieser Mann.
    »Sollen wir nicht lieber hinaufgehen?« fragte Molly.
    Mrs. Waddington kam aus ihrer Erstarrung zu sich.
    »Du solltest lieber hinaufgehen«, sagte sie, das Fürwort so betonend, daß es auch auf den dickhäutigsten Menschen Eindruck gemacht hätte. George verstand ausgezeichnet.
    »Ich – äh – ich meine, vielleicht«, murmelte er, »es wird – äh – es wird spät..«
    »Sie wollen doch nicht gehen?« fragte Molly bekümmert.
    »Selbstverständlich will Mr. Finch gehen«, sagte Mrs. Waddington; dabei sah sie so aus, daß man darauf gefaßt sein konnte, sie würde in der nächsten Minute den unglücklichen jungen Mann am Kragen und am Hosenboden fassen. »Wenn Mr. Finch Verpflichtungen hat, die ihn abrufen, dürfen wir ihn nicht aufhalten. Gute Nacht, Mr. Finch.«
    »Gute Nacht. Vielen Dank für den – äh – schönen Abend.«
    »Es war sehr freundlich von Ihnen, daß Sie uns die Ehre erwiesen haben«, sagte Mrs. Waddington.
    »Kommen Sie bald wieder«, bat Molly.
    »Mr. Finch«, sagte Mrs. Waddington, »ist sicher ein sehr beschäftigter Mann. Geh augenblicklich hinauf, Molly. Gute Nacht, Mr. Finch.«
    Sie hörte nicht auf, ihn mit Blicken zu messen, die sich kaum mit der Tradition der amerikanischen Gastfreundlichkeit in Einklang bringen lassen
    »Ferris«, sagte sie, als die Tür sich schloß.
    »Madame?«
    »Unter gar keinem Vorwand darf das Individuum, das eben gegangen ist, wieder ins Haus gelassen werden, Ferris.«
    »Sehr wohl, Madame«, erwiderte der Hausmeister.
4
    Als George Finch am nächsten Vormittag die Stufen des Hauses Nummer sechzehn in der Neunundsiebzigsten Straße emporstieg und auf den Klingelknopf drückte, leuchtete die Sonne strahlend. Er hatte seinen taubengrauen Anzug an und trug unter dem Arm ein ungeheures, in braunes Papier eingeschlagenes Gemälde. Nach reiflichem Nachdenken hatte er beschlossen, Molly sein Lieblingswerk zu verehren: Sei mir gegrüßt, fröhlicher Lenz! – ein Gemälde mit einer kaum bekleideten, anscheinend an Veitstanz leidenden jungen Frau, die auf einer blumenbestandenen Wiese mit Lämmern umherhüpfte. In dem Augenblick, den George gewählt hatte, um sie abzukonterfeien, war sie – nach ihrer Miene zu schließen – ziemlich heftig auf einen spitzen Stein getreten. Dennoch, es war Georges Meisterwerk, und er hatte die Absicht, es Molly zu verehren.
    Die Tür öffnete sich, und der Hausmeister Ferris erschien.
    »Waren«, sagte Ferris, George gelassen betrachtend, »sind am Hintereingang abzugeben.«
    George zwinkerte.
    »Ich möchte Miss Waddington sprechen.«
    »Miss Waddington ist nicht zu Hause.«
    »Kann ich Mr. Waddington sprechen?« fragte George, sich mit dem Zweitbesten begnügend.
    »Mr. Waddington ist nicht zu Hause.«
    George zauderte einen Augenblick, bevor er die dritte Frage stellte. Doch die Liebe überwindet alles.
    »Kann ich Mrs. Waddington sprechen?«
    »Mrs. Waddington ist nicht zu Hause.«
    Während der Hausmeister antwortete, erscholl in den oberen Regionen des Hauses eine befehlshaberische Frauenstimme, die an einen unsichtbaren Sigsbee die Frage richtete, wie oft ihm noch gesagt werden müsse, daß er im Salon nicht rauchen

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