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Der schüchterne Junggeselle

Der schüchterne Junggeselle

Titel: Der schüchterne Junggeselle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. G. Wodehouse
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Selbstverständlich hatte ein Mann seines Gepräges sich nicht auf den ersten Blick verliebt, aber dennoch konnte er sich nicht verhehlen, daß ihm nichts lieber wäre, als sie kennenzulernen und eventuell nach einem sorgfältigen Studium ihres Charakters und ihrer Anlagen, etwa nach ein oder zwei Jahren, festzustellen, daß sie die ihm von der Natur bestimmte Gefährtin sei. Soweit war er in seinen Betrachtungen gekommen, als er bemerkte, daß jemand dicht an seinem Ellbogen stand.
    Es gibt Augenblicke, in denen auch der kaltblütigste Rationalisierungsfachmann es schwer findet, sein Gleichgewicht zu bewahren. Hamilton Beamish war fassungslos. Zu der Tatsache, daß er an »sie« gedacht, mit Zärtlichkeit gedacht hatte, kam noch die peinliche Situation, mit einem fremden Mädchen vor einer Tür zu stehen. In einer derartigen Krise ist es sehr schwer für einen Mann, zu wissen, wie er sich eigentlich benehmen soll. Soll er so tun, als ob er von der Anwesenheit der Dame nichts ahnte? Oder soll er irgend etwas Selbstverständliches sagen? Und wenn er wirklich etwas sagen soll, was?
    Hamilton Beamish rang noch mit diesem Problem, als das Mädchen es für ihn löste. Sie hob plötzlich ein Gesicht, das in dieser Nähe noch viel reizvoller aussah als auf dem Omnibus, zu ihm empor und rief: »Uh!«
    Im ersten Augenblick empfand Hamilton Beamish nichts als jene fast ekstatische Erleichterung, mit der ein Mann von Empfindsamkeit entdeckt, daß ein hübsches Mädchen eine angenehme Stimme hat. In der nächsten Sekunde jedoch hatte er erkannt, daß der Dame etwas weh tat, und sein Herz floß von Mitleid und Diensteifer über.
    »Ist Ihnen etwas ins Auge geflogen?«
    »Etwas Staub oder so etwas.«
    »Gestatten Sie«, sagte Hamilton Beamish.
    Für den gewöhnlichen Mann gehört es zu den schwierigsten Aufgaben, aus dem Auge einer ihm völlig fremden Dame einen Fremdkörper zu entfernen. Doch Hamilton Beamish war kein gewöhnlicher Mann. Kaum zehn Sekunden später steckte er sein Taschentuch wieder ein, und das Mädchen blinzelte ihn dankbar an.
    »Ich danke Ihnen vielmals«, sagte sie.
    »Gar keine Ursache«, sagte Hamilton Beamish.
    »Ein Doktor hätte es nicht besser machen können.«
    »Es ist bloß ein Handgriff.«
    »Wie kommt es«, fragte das Mädchen, »daß man, wenn einem ein Staubkörnchen von der Größe eines Stecknadelkopfes ins Auge kommt, glaubt, es wäre weiß Gott wie groß?«
    Darauf konnte Hamilton Beamish antworten, es war eine Materie, die er studiert hatte. »Die Bindehaut, eine Schleimhautschicht, welche die Innenseite des Augenlides einfaßt und auf die Vorderseite des Augapfels zurückgebogen ist, welche Duplikatur die Fornix bildet, ist überaus empfindlich. Ganz besonders ist dies der Fall an der Stelle, wo die Augenlidknorpelblättchen, ein Fasergewebe, vermittels der oberen und unteren Augenlidbänder am Augenhöhlenrand befestigt sind.«
    »Aha«, sagte das Mädchen.
    Das Gespräch stockte.
    Dann fragte sie: »Machen Sie einen Besuch bei Mrs. Waddington?«
    »Bei Miss Waddington.«
    »Die kenne ich nicht.«
    »Sie sind also nicht mit der ganzen Familie bekannt?«
    »Nein. Nur mit Mrs. Waddington. Würden Sie vielleicht klingeln?«
    Hamilton Beamish drückte auf den Knopf.
    »Ich habe Sie auf dem Omnibus gesehen«, sagte er.
    »Ach?«
    »Ja. Ich saß nebenan.«
    »Merkwürdig!«
    »Ein reizender Tag, nicht?«
    »Sehr schön.«
    »Die Sonne.«
    »Ja.«
    »Der Himmel.«
    »Ich liebe den Sommer.«
    »Ich auch.«
    »Wenn er nicht zu heiß ist.«
    »Ja.«
    »Obwohl ich immer sage«, bemerkte Hamilton Beamish, »daß es weniger die Hitze ist, die einen belästigt, als die Feuchtigkeit.«
    Was ganz einfach beweist, daß auch große Denker, wenn sie sich auf den ersten Blick verlieben, plappern können wie Männer mit geringeren Verstandesgaben unter den gleichen Umständen. Merkwürdige und heftige Gefühle zerrissen Hamilton Beamishs Busen; und die Grundsätze seines ganzen Lebens über Bord werfend, erkannte er ohne die geringste Scham an, daß die Liebe endlich zu ihm gekommen war – nicht durch den Hintereingang der Wissenschaft in seine Seele schleichend, wie er vermutet hatte, sondern mit Berserkerwut drängelnd wie ein Monatskartenbesitzer, der mit seinem Zug mitkommen will. Ja, er liebte. Und daß er den Eindruck hatte, in der Unterhaltung mit dem Mädchen ziemlich gut gesprochen zu haben, kann nur bestätigen, daß die Leidenschaft seine geistigen Fähigkeiten völlig gelähmt hatte.
    Die Tür

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