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Der schüchterne Junggeselle

Der schüchterne Junggeselle

Titel: Der schüchterne Junggeselle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. G. Wodehouse
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zu lassen, und daß sie ihr ausdrücklich befohlen habe, dich nie wieder zu sehen.«
    »Und was hat sie nachher gesagt?«
    »Sie bat mich, hinzukommen, um mit ihr zu sprechen.«
    »Über mich?«
    »Das nehme ich an.«
    »Du gehst?«
    »Sofort.«
    »Hamilton«, sagte George mit zitternder Stimme, »Hamilton, alter Junge, trag recht dick auf.«
    »Du meinst, ich soll begeistert für dich sprechen?«
    »Ja, das meine ich. Du kannst alles so gut ausdrücken, Hamilton!«
    Hamilton Beamish nahm seinen Hut und setzte ihn auf. »Es ist doch merkwürdig«, sagte er nachdenklich, »daß ich dir in dieser Angelegenheit helfe.«
    »Das ist dein gutes Herz«, rief George. »Du hast ein goldenes Herz.«
    »Du hast dich auf den ersten Blick verliebt, und was ich von Liebe auf den ersten Blick halte, ist wohl bekannt.«
    »Was du meinst, ist ganz falsch.«
    »Was ich meine, ist nie falsch«
    »Ich meine ja eigentlich nicht falsch«, sagte George hastig. »Ich meine nur, daß in gewissen Fällen Liebe auf den ersten Blick das einzige ist.«
    »Die Liebe hat ein von der Vernunft geregeltes Gefühl zu sein.«
    »Aber nicht, wenn man plötzlich ein Mädchen wie Molly Waddington sieht.«
    »Wenn ich heirate«, sagte Hamilton Beamish, »dann wird es das Ergebnis einer sorgfältig durchgeführten Reihe von Überlegungen sein. Ich werde zunächst nach reiflichem Nachdenken zu dem Schluß kommen, daß ich das Alter erreicht habe, welches für mich das beste zum Heiraten ist. Dann werde ich die Liste meiner Freundinnen durchgehen, bis ich auf eine stoße, deren Geist und Neigungen in Harmonie mit den meinigen stehen. Hierauf werde ich …«
    »Willst du dich nicht umziehen?« fragte George.
    »Hierauf werde ich«, sprach Hamilton Beamish weiter, »sie geraume Zeit sorgfältig beobachten, um sicher zu sein, daß mich nicht die Leidenschaft gegen etwaige Charakterfehler des Mädchens blind gemacht hat. Und schließlich …«
    »In diesen Hosen kannst du unmöglich zu Miss Waddington gehen«, sagte George. »Und dein Hemd paßt nicht zu den Socken. Du mußt..«
    »Und schließlich werde ich, vorausgesetzt, daß ich bis dahin nicht eine geeignetere Kandidatin für meine Gefühle gefunden habe, zu ihr gehen und sie mit einigen einfachen Worten bitten, sie möge meine Frau werden. Ich werde darauf hinweisen, daß mein Einkommen für zwei genügt, daß mein moralischer Wandel über jeden Tadel erhaben ist, daß …«
    »Hast du denn keinen hübschen Anzug, der anständig gebügelt und gebürstet ist, und einigermaßen neue Schuhe und einen weniger abgetragenen Hut und …«
    »… daß ich ein liebenswürdiges Gemüt und regelmäßige Gewohnheiten habe. Und dann werden wir eine Vernunftehe eingehen.«
    »Und deine Manschetten?« fragte George.
    »Meine Manschetten?«
    »Willst du wirklich Miss Waddington in ausgefransten Manschetten aufsuchen?«
    »Jawohl.«
    George hatte nichts mehr zu sagen. Es war ein Sakrileg, aber es schien keine Möglichkeit zu seiner Verhinderung zu geben
2
    Ungefähr eine halbe Stunde später erwachte Hamilton Beamish auf dem Verdeck des grünen Omnibusses, der von Washington Square abgeht, aus tiefsinnigen Gedanken über Liebe auf den ersten Blick. Als er sich umsah, fiel ihm auf der Bank jenseits des Ganges ein Mädchen auf.
    Es war ein Mädchen mit Chic und Elan. Man kann sogar noch weitergehen und sagen, ein Mädchen mit dem gewissen je ne sais quoi. Sie trug, wie Hamilton Beamishs erfahrenes Auge mit einem raschen Blick feststellte, ein fabelhaftes Complet; einen mit Crepe de Chine angesetzten Mantel aus feinem Rips und ein entzückendes langärmeliges Kleid aus gemustertem Marocain mit Falten an den Seiten und einer kleinen Halskrause; was man, wie jedes Schulkind weiß, in Beige, Grau, Taube, Opalfarben, Tabakbraun, Grau, Rosenholzfarben, Terracotte, Braun, Flaschengrün, Blaßrosa, Marineblau, Schwarz und Dunkelblau bekommen kann. Sie trug es in Dunkelblau.
    Als er ihr Gesicht sah, wäre es um ihn geschehen gewesen, hätte er nicht sein klar umschriebenes System des vernünftigen Liebens besessen. Doch auch so konnte dieser starke, tüchtige Mann, als er an der Neunundsiebzigsten Straße den Omnibus verließ, nicht eine Anwandlung jener sehnsüchtigen Melancholie unterdrücken, von welcher die Männer befallen werden, wenn sie sich etwas Gutes entgehen lassen.
    Traurig, dachte Hamilton Beamish, als er vor dem Haus stand und nach dem Klingelknopf griff, traurig, daß er dieses Mädchen nie wiedersehen würde.

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