Der schüchterne Junggeselle
den Hochzeitsgeschenken befand.«
»Nein, wirklich? Nanu! Was Sie nicht sagen!«
»Unglückseligerweise ist gar nicht daran zu zweifeln. Und so sieht meine Stieftochter in George Finch, statt über seine Verworfenheit entsetzt zu sein, einen mit Unrecht verdächtigten Unschuldigen und besteht auf der Hochzeit. Hören Sie mir zu?«
Lord Hunstanton zuckte zusammen. Aus dem Speisesaal war ein lieblicher Duft von Tournedos und Bratensaft an seine Nase gedrungen, was seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hatte.
»Entschuldigen Sie«, sagte er. »Ich dachte im Augenblick an etwas ganz anderes. Sie sagten, daß Miss Waddington über George Finchs Verworfenheit entsetzt war.«
»Ich sagte gerade das Gegenteil. Sie ist nicht entsetzt.«
»Nein? Diese modernen Mädchen sind wirklich sehr vorurteilslos«, sagte Lord Hunstanton; er drehte sich um und versuchte zu inhalieren.
»Aber«, sprach Mrs. Waddington weiter, »ich bin überzeugt davon, wenn Finch auch in dieser speziellen Sache schuldlos ist, seine Moral steht genauso tief wie die aller anderen Künstler; wir müßten nur dahinterkommen. Ich weiß so sicher, wie ich hier sitze, daß George Finch ein lockerer Vogel ist, und wir können nur eines tun, um ihn zu entlarven: wir müssen in seine Wohnung gehen und seinen Diener über sein Privatleben ausfragen. Wir werden uns sofort auf den Weg machen.«
»Aber hören Sie, dazu brauchen Sie mich doch nicht?«
»Natürlich brauche ich Sie. Glauben Sie, ich werde mich allein in die Wohnung dieses Menschen begeben?«
Ein Kellner kam mit einem Tablett, auf dem eine dampfende Schüssel stand, vorüber; Seine Lordschaft gab einen schwachen Jammerlaut von sich und rang die Hände.
»Vorwärts!« sagte Mrs. Waddington. »Gehen wir.«
Auf den Gedanken, dieser gewalttätigen Frau Widerstand zu leisten, kam Lord Hunstanton gar nicht. Einige Zeit später fuhr also eine Droschke am Sheridan vor, und die beiden machten sich daran, die Treppe hinaufzugehen – denn es gehörte zu den Annehmlichkeiten dieses Hauses, daß der Fahrstuhl fast nie funktionierte.
Im obersten Stockwerk klingelte Lord Hunstanton.
»Er scheint nicht zu Hause zu sein«, sagte Seine Lordschaft nach einem zweiten Versuch.
»Wir werden warten.«
»Was, hier?«
»Auf dem Dach.«
»Wie lange?«
»Bis der Diener dieses Finch zurückkommt.«
»Aber das kann doch noch Stunden dauern.«
»Dann werden wir eben Stunden warten.«
Lord Hunstantons leidendes Innere mahnte ihn, zu protestieren. »Sei tapfer«, knurrte es. Und wenn er auch nicht tapfer genug war, offen zu trotzen, so raffte er sich wenigstens dazu auf, einen Vorschlag zu machen.
»Wie wäre es«, fragte er, »wenn ich rasch irgendwo in der Nähe einen Bissen herunterschlinge? Man kann nämlich nie wissen, ob so ein Diener nicht ekelhaft wird. So zu seinem jungen Herrn halten, meine ich. Und wenn ich ein bißchen Essen in mir habe, bin ich viel besser gewappnet. Ich könnte dann viel besser meinen Mann stellen.«
Mrs. Waddington musterte ihn verächtlich. »Von mir aus. Aber kommen Sie gefälligst so rasch wie möglich zurück.«
»Oh, selbstverständlich! Ich muß nur schnell ein Pfläumchen oder so etwas schlucken. Ich werde zurück sein, bevor Sie überhaupt merken, daß ich gegangen bin.«
»Sie finden mich auf dem Dach.«
»Auf dem Dach. Ausgezeichnet! Also ta-ta, bis dahin«, sagte Seine Lordschaft und eilte wieder hinunter.
Als Mrs. Waddington ihren Posten auf dem Dach bezogen und schon ziemlich lange die dunklen Fenster von Finchs Wohnung beobachtet hatte, wurde hinter der Glastür in der Mitte plötzlich Licht gemacht. Und als sie näher trat, gingen ihre süßesten Träume in Erfüllung. Auf dem gelben Vorhang zeichnete sich ein Schatten ab, der offenbar einer jungen Person weiblichen Geschlechts gehörte. Mrs. Waddington schritt auf das Fenster zu und klopfte gebieterisch.
Ein erschrockener Aufschrei erscholl innen. Der Vorhang wurde hochgezogen, und ein beleibter Mann in nüchterner schwarzer Kleidung zeigte sich. Im nächsten Augenblick wurde das Fenster geöffnet.
»Wer ist da?« fragte der Mann.
»Ich«, antwortete Mrs. Waddington.
»Jesus Christus!«
2
Frederick Mullett war schon den ganzen Nachmittag nervös gewesen, nervöser als der normale Bräutigam an seinem Hochzeitstag; denn seit vielen Stunden quälte ihn die Frage, was seine junge Frau wohl angestellt hätte. Wenn eine Maus über den Fußboden gelaufen wäre, hätte sie Frederick Mullett für
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