Der schüchterne Junggeselle
noch vorsichtig, die Tür.
»Hör mal, Molly«, sagte er, »ich muß sofort nach New York. Ich muß einfach.«
»Ich auch. Ich will George unbedingt noch heute abend sehen. Ich glaube, er wird wohl in seine Wohnung gegangen sein.«
»Was sollen wir tun?«
»Sowie der Wagen mit Mutter weg ist, bringe ich dich in meinem Zweisitzer hinein.«
»So ist es recht!« rief Mr. Waddington voll Glut. »Das nenne ich reden.«
Er küßte seine Tochter zärtlich.
VIERZEHNTES KAPITEL
1
Es dauerte einige Zeit, bis man im Polizeipräsidium die Ansicht aufgab, Mrs. Waddington sei gekommen, um sich selbst wegen eines Juwelenraubes zu stellen; als dies aber geschehen war, widmete man sich mit ganzem Herzen und voller Seele ihrem Fall und ließ ihr alle Hilfe angedeihen. Man mußte allerdings gestehen, daß die Beschreibung, die sie von der Diebin lieferte, ihnen nicht den geringsten Anhaltspunkt gab; sonst aber, so versicherte man ihr, hätte sie staunen müssen, mit welcher Geschwindigkeit der Justizapparat zu funktionieren begonnen hätte.
Wenn das Mädchen zum Beispiel groß, schlank und brünett gewesen wäre, hätte man augenblicklich Netze für die » Chicago-Kitty« ausgelegt. Hätte sie jedoch eine Stupsnase und zwei Muttermale am Kinn gehabt, dann wären alle Reviere telefonisch angewiesen worden, die » Cincinnati-Sue« im Auge zu behalten. Und hätte sie bloß ein wenig gehinkt und beim Sprechen gelispelt, dann wäre die Verhaftung der » Indianapolis-Edna« nur eine Frage von Stunden gewesen.
Als Mrs. Waddington wieder auf die Straße trat, war sie noch sehr verärgert, doch die kühle Nachtluft übte einen heilsamen Einfluß aus. Sie war jetzt imstande, zu begreifen, daß das gestohlene Kollier doch nur etwas Nebensächliches war, daß sie eine ernstere Aufgabe vor sich hatte, als eine Verbrecherin zur Rechenschaft zu ziehen. Das Ziel, dem sie alle ihre Fähigkeiten widmen mußte, war die Entlarvung George Finchs.
Sie kam zu dem Schluß, daß sie einen Verbündeten brauchte, einen mitfühlenden Helfer, der neben ihr einhertrotten, Aufträge ausführen und sie im allgemeinen in ihren schwierigen Operationen unterstützen und ermutigen sollte. Sie ging zu einem öffentlichen Fernsprecher und investierte fünf Cents in einem Ortsgespräch.
»Lord Hunstanton?«
»Hallo?«
»Hier ist Mrs. Waddington.«
»Oh, ah! Glückliche Heimkehr!«
»Was machen Sie jetzt?«
»Ich wollte gerade ausgehen und eine Kleinigkeit essen.«
»Seien Sie in zehn Minuten im Ritz Carlton.«
»Ausgezeichnet. Vielen Dank. Ich komme. Ja. Danke. Gut. Sehr schön. Herrlich. Ausgezeichnet.«
Lord Hunstanton vereinigte einen glänzenden Appetit mit einer ausgesprochenen Abneigung dagegen, selbst für seine Mahlzeiten zu bezahlen, und die Aussicht darauf im Ritz auf Kosten einer anderen dinieren zu können, verlieh ihm Flügel.
»Ich habe Sie doch hoffentlich nicht warten lassen«, begrüßte er Mrs. Waddington.
»Setzen Sie sich. Ich muß mit Ihnen reden.« Und das tat sie denn auch ausführlich.
Lord Hunstanton blinzelte erbärmlich.
»Ich bitte vielmals um Entschuldigung«, sagte er, als Mrs. Waddington eine Pause machte, um Atem zu holen. »Ich weiß, das alles ist schrecklich interessant, aber ich scheine aus irgendeinem Grund nicht imstande zu sein, Ihnen ganz zu folgen. Wie wäre es, wenn wir in den Speisesaal hinübergingen und die ganze Angelegenheit ruhig über einem nachdenklichen Steak oder so etwas besprechen würden?«
»Sie werden sich doch nicht einbilden, daß ich meine Zeit mit Essen verschwenden will?«
»Wie, bitte?« Der Unterkiefer Seiner Lordschaft senkte sich um etliche Zentimeter. »Nicht essen?«
»Gar keine Rede. Ich werde wiederholen, was ich gesagt habe, und diesmal geben Sie, bitte, acht.«
»Aber hören Sie! Kein Dinner?«
»Nein.«
»Keine Suppe?«
»Nein.«
»Keinen Fisch? Gar nichts zum Essen?«
»Absolut nichts. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir müssen rasch handeln.«
»Wie wäre es mit einem Sand- …«
»Sie waren heute nachmittag auch bei dieser entsetzlichen Szene«, sagte Mrs. Waddington, »ich brauche sie Ihnen also nicht zu schildern. Sie werden nicht vergessen haben, wie dieses Mädchen ins Zimmer kam und George Finch anklagte. Sie wissen noch, was sie sagte.«
»Ja. Eine sehr pikante Angelegenheit.«
»Aber leider Gottes nicht wahr.«
»Wie?«
»Es war ein Manöver. Sie ist eine Diebin. Sie hat das Ganze doch nur getan, um ein Perlenkollier zu stehlen, das sich unter
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