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Der schüchterne Junggeselle

Der schüchterne Junggeselle

Titel: Der schüchterne Junggeselle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. G. Wodehouse
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wichtigste, wenn auch nicht das einzige, im Leben erschien. Sie hob den Deckel vom Topf, und ein würziger Dampf berührte sie wie ein Kuß.
    Sie holte tief Atem, goß von der Suppe in einen Teller und versah sich mit einem Löffel, mit Brot, Salz und Pfeffer.
    Und gerade während sie liebevoll den Pfeffer mahlte, sprach hinter ihr eine Stimme.
    »Sie sind verhaftet!« sagte die Stimme.
4
    Sie fuhr mit einem gellenden Schrei herum; ihr Herz schien einen jener exzentrischen Südseetänze zu exekutieren, über deren Beliebtheit sie stets geklagt hatte.
    In der Tür stand ein Polizist.
    Mrs. Waddington war nicht oft sprachlos, aber jetzt konnte sie kein Wort finden. Sie stand da und rang nach Luft.
    »Wenn Sie die Freundlichkeit haben wollen, muß ich Sie bitten«, sagte der Polizist, »mit mir zu kommen. Und es wird Ihnen ziemlich viele Unannehmlichkeiten ersparen, wenn Sie in aller Ruhe mitkommen.«
    Die Lähmung infolge dieser überraschenden Begegnung begann von Mrs. Waddington zu weichen. »Ich kann alles erklären!« rief sie.
    »Dazu werden Sie auf der Wache reichlich Gelegenheit haben. Ich möchte Ihnen in Ihrem eigenen Interesse raten, bis dahin sowenig wie möglich zu sagen, denn ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß ich dazu verpflichtet bin, alles, was Sie sagen, zu Papier zu bringen. Sie sehen, ich habe Notizbuch und Bleistift schon in Bereitschaft.«
    »Ich habe nichts Böses getan.«
    »Das wird der Richter entscheiden. Ich brauche Sie wohl kaum darauf aufmerksam zu machen, daß Ihre Anwesenheit in dieser Wohnung, um mich sehr gelinde auszudrücken, befremdend ist. Sie sind durch ein Fenster hereingekommen, und überdies überrasche ich Sie dabei, wie Sie etwas von dem Eigentum des Wohnungsinhabers entwenden – nämlich Suppe. Ich muß Sie zu meinem Bedauern bitten, mich zu begleiten.«
    Mrs. Waddington wollte ihre Hände verzweifelt zusammenschlagen, merkte aber, daß etwas sie daran hinderte. Sie wurde sich plötzlich bewußt, daß sie die Pfeffermühle noch immer in der Hand hatte, und dabei fiel ihr etwas ein.
    »Ha!« rief sie.
    »Wie bitte?« fragte der Polizist.
    Alles in dieser Welt, jedes kleine Erlebnis, hat, wie die Philosophen uns sagen, den Zweck, uns etwas zu lehren, uns für den Kampf des Lebens auszurüsten. Es war also, gemäß dieser Theorie, nicht bloßer Zufall, was Mrs. Waddington veranlaßt hatte, den Bericht ihrer Abendzeitung über einen Einbruch in der Wohnung eines Bürgers der Ortschaft West Orange in New Jersey zu lesen und unbewußt ihrem Gedächtnis einzuprägen.
    Dem Einbrecher in West Orange, den der empörte Herr des Hauses in die Enge getrieben hatte, war die Flucht gelungen, indem er seinem Gegner einfach Pfeffer ins Gesicht warf.
    Was diesem einfachen, wahrscheinlich ungebildeten Mann gelungen war, konnten die Kräfte einer Frau von ihrer Art unmöglich übersteigen – einer Frau, die Ehrenpräsidentin von dreinundzwanzig Wohltätigkeitsgesellschaften war und einen guten Ruf als Rednerin über Kindererziehung genoß. Sie wandte sich ein wenig zur Seite und arbeitete, wie aus Verlegenheit, eifrig mit der Pfeffermühle.
    »Sie werden begreifen«, sagte der Polizist bittend, »daß es mir außerordentlich schmerzlich ist …«
    Er hatte ganz recht. Schmerzlich war, wie er im nächsten Augenblick merkte, das einzig richtige Wort, das auch der sorgfältigste Stilist gewählt hätte. Denn plötzlich schien aus dem ganzen Universum ein großer Wolkenbruch von Pfeffer geworden zu sein. Pfeffer brannte in seinem Mund; Pfeffer füllte seine Nase; Pfeffer brannte in seinen Augen und kitzelte seinen Adamsapfel. Einen Augenblick tappte er blind um sich, dann hielt er sich am Tisch fest und begann zu niesen.
    Den Klang dieses gigantischen Niesens im Ohr, tastete Mrs. Waddington sich durch das Dunkel zurück, bis sie zum offenen Fenster kam; dann rannte sie über das Dach und eilte die Feuerleiter hinunter.
5
    Als sie ungefähr in die Höhe des neunten Stockwerks gekommen war, blickte sie hinunter und entdeckte, daß die Feuerleiter nicht, wie sie angenommen hatte, in irgendeinem Hintergäßchen endete, sondern in einem hellerleuchteten Gasthausgarten, der zur Hälfte gefüllt war.
    Mrs. Waddington wußte, daß der Polizist jeden Augenblick an den Rand des Daches kommen und hinunterschauen konnte, und ihm vorzuspiegeln, sie sei bloß ein Mülleimer oder eine Milchflasche, das überstieg, wie sie wohl wußte, ihre schauspielerischen Fähigkeiten.
    Geistesgegenwärtig

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