Der schüchterne Junggeselle
wieder entreißend, »wird es Sie vielleicht interessieren zu hören, daß ich Ihnen nicht glaube.«
»Hallo, he!« rief Mullett aufgeregt. »Das haben Sie mir gegeben!«
»Und jetzt habe ich es wieder zurückgenommen«, sagte Mrs. Waddinton, die Note einsteckend. »Sie verdienen es nicht.«
In seinen edelsten Gefühlen verletzt, schlug Mullett das Fenster zu. Einige Augenblicke blieb er wutschnaubend stehen, dann knipste er das Licht wieder aus und ging.
Am Fuß der Treppe hörte er seinen Namen rufen, und als er sich umwandte, sah er einen langen Polizisten, der ihn sanft und freundlich ansah.
»Das ist doch Mr. Mullett?« fragte der Polizist.
»Hallo?« rief Mullett ein wenig außer sich. Man legt seine Gewohnheiten nicht leicht ab, und es hatte eine Zeit gegeben, daß der bloße Anblick eines Polizisten ihn wie Espenlaub erzittern ließ.
»Erkennen Sie mich? Ich heiße Garroway. Wir haben uns vor einigen Wochen kennengelernt.«
»Aber natürlich. Sie sind der Dichter.«
»Sehr freundlich von Ihnen«, sagte Wachtmeister Garroway, sich ein wenig zierend. »Ich bin eben dabei, Mr. Beamish mit meiner letzten Arbeit aufzusuchen. Und wie ist es Ihnen mittlerweile ergangen, Mr. Mullett?«
»Ausgezeichnet. Bei Ihnen auch alles erfreulich?«
»Durchaus. Nun, ich darf Sie nicht aufhalten, Sie haben zweifellos eine wichtige Verabredung.«
»Allerdings. Hören Sie«, rief Mullet unter einer plötzlichen Inspiration, »sind Sie im Dienst?«
»Augenblicklich nicht.«
»Hätten Sie etwas dagegen, jemand zu verhaften?«
»Nein. Ich bin immer gern bereit, jemand zu verhaften.«
»Ja, auf unserem Dach war nämlich eben ein verdächtiges Individuum. Eine Frau, die mir gar nicht gefallen hat.«
»Wirklich? Das ist ja außerordentlich interessant.«
»Sie hat herumspioniert und zu unseren Fenstern hereingesehen, und meiner Meinung nach hat sie nichts Gutes vor. Sie könnten sie vielleicht fragen, was sie eigentlich will.«
»Ich werde mich unverzüglich dieser Angelegenheit annehmen.«
»Ich würde sie an Ihrer Stelle auf den Verdacht hin verhaften. Auf Wiedersehen.«
»Gute Nacht, Mr. Mullett.«
Mullett ging in der gehobenen Stimmung, die eine gute Tat mit sich bringt, weiter. Wachtmeister Garroway schwang nachdenklich seinen Nachtknüppel und stieg die Treppe hinauf.
3
Unterdessen hatte Mrs. Waddington sich nicht mit einer Politik des Wachens und Wartens begnügt. Sie war fest davon überzeugt, daß der Schatten, den sie am Vorhang gesehen hatte, zu einem Mädchen gehörte. Zweifellos war diese von dem Diener gewarnt worden und hatte sich jetzt wahrscheinlich schon entfernt. Aber sie würde wiederkommen. Und auch George Finch würde wiederkommen. Es war ganz einfach eine Frage der Geduld.
Doch auf dem Dach durfte sie nicht bleiben; dort würde das schuldige Paar zuerst nachsehen. Die richtige Taktik war es, hinunterzugehen und auf der Straße zu patrouillieren.
Sie hatte auch schon einige Schritte auf die Treppenhaustür zu gemacht, als sie ein leises, knarrendes Geräusch hörte und zu ihrer Überraschung bemerkte, daß das Fenster nach außen schwang.
Es öffnete sich ein wenig und wurde vom Wind wieder zugeschlagen. Anscheinend hatte der Diener im Schmerz über den Verlust der zehn Dollar vergessen, den Riegel umzudrehen.
Sie erfaßte den Griff, öffnete das Fenster ganz und glitt in das finstere Zimmer. Es schien leer zu sein, aber Mrs. Waddington war eine vorsichtige Frau.
»Mein Guter!« rief sie.
Schweigen.
»Ich möchte Ihnen etwas sagen.«
Wieder Schweigen. Mrs. Waddington machte die letzte Probe.
»Ich möchte Ihnen diese zehn Dollar zurückgeben.«
Noch immer Schweigen. Mrs. Waddington war überzeugt. Sie ging hinein, suchte an der Wand nach dem Schalter, und während sie damit beschäftigt war, drang durch das Dunkel etwas zu ihr. Es war ein Suppengeruch.
Mrs. Waddington hatte wohl Lord Hunstanton wegen seiner niedrigen Gelüste verachtet, aber sie war eine Frau mit regelmäßigen Gewohnheiten, und die Stunde, um die sie sonst dinierte, war längst vorbei. Sie ließ sich von ihrer Nase führen, bis sie den köstlichen Duft in nächster Nähe verspürte; dann tastete sie nach dem Lichtschalter, drehte ihn um und sah, daß sie in einer Küche war. Und dort auf dem Herd stand ein Topf.
Es gibt Augenblicke, da auch die entschlossenste aller Frauen sich von dem Hauptziel ihrer Gedanken ablenken läßt. Mrs. Waddington war in einen Zustand gekommen, in dem Suppe ihr als das
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