Der schüchterne Junggeselle
Schutzmann, ruhiger werdend.
»Wo ist Mr. Finch?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Miss.«
»Haben Sie Schnupfen?«
»Nein, Miss, es ist kein Schnupfen. Eine Frau hat mir Pfeffer ins Gesicht geworfen.«
»Solche Frauen sollten Sie gar nicht kennen«, sagte Molly streng.
Diese Ungerechtigkeit schmerzte Wachtmeister Garroway.
»Ich kenne sie eigentlich nicht. Ich wollte sie arretieren.«
»Ach so.«
»Ich kam dazu, wie sie in diese Wohnung einbrach.«
»Du guter Gott!«
»Und als ich ihr sagte, daß ich gezwungen sei, sie in sicheren Gewahrsam zu bringen, warf sie mir Pfeffer ins Gesicht und entfloh.«
»Sie armer Mensch!«
»Ich danke Ihnen, Miss.«
»Kann ich Ihnen nicht etwas bringen?« fragte Molly.
Wachtmeister Garroway schüttelte wehmütig den Kopf.
»Das ist jetzt gegen das Gesetz, Miss. Ich muß sogar heute abend an einer Razzia in einem Restaurant, das sich auf diese Weise vergeht, teilnehmen.«
»Ich meinte etwas aus einer Apotheke. Irgendeine Salbe oder so etwas.«
»Das ist ganz besonders freundlich von Ihnen, Miss, aber ich könnte Ihnen nicht einmal im Traum so viel Mühe machen. Ich werde auf meinem Weg zur Wache an einer Apotheke vorüberkommen. Ich muß Sie jetzt leider allein lassen, weil ich gehen und mich anziehen muß.«
»Wieso, Sie sind doch angezogen.«
»Für die Razzia, von der ich gesprochen habe, müssen alle im Frack erscheinen. Um das Personal des Restaurants zu täuschen und in falsche Sicherheit zu wiegen. Wenn wir in Uniform hinkämen, würden die Leute auf ihrer Hut sein.«
»Ist das aber aufregend! In welchem Restaurant soll denn diese Razzia sein?«
Wachtmeister Garroway zögerte.
»Ja, Miss, es ist natürlich eigentlich ein Amtsgeheimnis, aber wenn Sie es bei sich behalten wollen, es handelt sich um das ›Rote Huhn‹, gleicht da unten. Jetzt muß ich aber wirklich gehen, Miss; ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.«
»Warten Sie noch einen Moment. Ich wollte Mr. Finch sprechen. Haben Sie ihn gesehen?«
»Nein, Miss. Solange ich da war, hat sich niemand gezeigt.«
»Ach, dann werde ich warten. Gute Nacht. Hoffentlich ist Ihnen bald besser.«
»Mir ist schon besser, Miss«, sagte Wachtmeister Garroway höflich, »dank Ihrem freundlichen Mitgefühl. Gute Nacht, Miss.«
Molly ging auf das Dach hinaus und blickte dort über die Millionen funkelnder Lichter der Stadt hin. In dieser Höhe wurde die Stimme New Yorks zu einem Murmeln, die Luft war süß und kühl. Kleine Lüftchen raschelten in den Topfpflanzen, die Mullett mit so viel Sorgfalt und Eifer pflegte, und eine Mondsichel strahlte am Himmel, bescheiden, als fühlte sie sich in dieser Umgebung nicht besonders wohl.
Bald unterbrach ein erstickter Ausruf die Stille; Molly wandte sich um und gewahrte George Finch.
Er stand im Mondlicht und starrte verstört vor sich hin. Obgleich das, was er vor sich sah, ganz danach aussah, als ob es Molly sei, und obgleich ein voreiliger und oberflächlicher Beschauer das zweifellos auch behauptet hätte, blieb ihre wirkliche Anwesenheit hier dennoch so ganz unmöglich, daß er unter einer Halluzination zu leiden glaubte. Er blieb also stehen, wo er war, und wagte nicht näher heranzugehen; denn er wußte: wenn man Traumerscheinungen berührt, verschwinden sie.
Doch Molly hatte ein praktischeres Gemüt. Sie war zwanzig Meilen weit gereist, um George zu sprechen, und da war er. Sie tat das einzig Vernünftige. Sie stieß einen kleinen Freudenschrei aus und lief rasch auf ihn zu.
»Georgie! Liebling!«
Man lebt und lernt. George merkte, daß er sich sehr geirrt hatte, denn seine Erscheinung verschwand bei der Berührung nicht, sie wurde vielmehr mit jedem Augenblick wirklicher. Er schloß die Augen, küßte sie zärtlich und öffnete die Augen wieder. Sie war noch immer da.
»Bist das wirklich du?« fragte George.
»Ja, wirklich.«
»Aber wie … was …?«
George – der ein junger Mann mit gutem Durchschnittsverstand war – sah ein, daß er einen goldenen Augenblick mit törichtem Gerede vergeudete. Dies war keine Zeit zum Reden. Er hörte also auf zu sprechen, und Schweigen herrschte auf dem Dach. Der Mond blickte vergnügt herab. George umklammerte Molly, und Molly umklammerte George. Und vergessen drehte die Welt sich weiter.
Doch die Welt läßt sich nie lange vergessen. Plötzlich riß George sich mit einem Ausruf los, lief zur Mauer und sah hinüber.
»Was hast du?«
George kam beruhigt zurück.
»Ich glaubte jemand auf der Feuerleiter zu sehen,
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