Der Schuldige: Roman (German Edition)
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»Sind Sie mein Freund?«, fragte Sebastian.
»Ich bin dein Anwalt.«
»Die Leute mögen mich nicht«, sagte Sebastian. »Ich glaube, die Geschworenen mögen mich auch nicht.«
»Die Geschworenen sind da, um die ihnen vorgelegten Fakten zu bewerten. Es ist egal, ob sie dich mögen oder nicht«, sagte Daniel. Er wünschte, dass dies stimmte, war davon aber nicht völlig überzeugt.
»Mögen Sie mich?«, fragte Sebastian und blickte auf. Daniels erste Regung war, wegzuschauen von diesen grünen Augen, die in seine blickten, aber er hielt dem Blick stand.
»’türlich«, sagte er und hatte erneut das Gefühl, als überschreite er eine Grenze.
Es war nicht mehr viel Zeit, bis das Gericht wieder zusammentreten würde. Daniel kaufte sich nahe St. Paul’s ein Sandwich und aß es, während er auf die Cannon Street blickte. Sebastians gedrückte Stimmung hatte auf ihn abgefärbt, und die Fragen des Jungen gingen ihm im Kopf herum.
Er hatte ein ungutes Gefühl: Er war sich nicht sicher, ob es Angst vor dem Ergebnis des Prozesses war oder Mitgefühl für den Jungen und was er zu erwarten hatte. Er fühlte die Verantwortung schwer auf sich lasten. Eine Krähe landete plötzlich auf dem Sims vor dem Fenster der Imbissbude. Daniel hörte auf zu kauen und sah zu, wie der Vogel eine Fritte herunterwürgte, die er auf dem Bürgersteig gefunden hatte. Er legte den Kopf schief und sah Daniel mit seinem glänzenden Schnabel an. Dann war er weg, flog hinauf zu den Zinnen der Gebäude, die aus Portlandstein gemeißelte barocke Fantasien schmückten. Daniel verfolgte den Aufstieg des Vogels, bis er nicht mehr zu sehen war.
Flug: die Herrschaft über entgegengesetzte Kräfte, Gewicht gegen Auftrieb, Erdanziehung gegen die Anziehung des erhabenen Jenseits.
Kampf oder Flucht: Der Körper ermöglicht beides zur gleichen Zeit; es besteht die Möglichkeit, das, was bedroht, anzugreifen oder davor wegzulaufen.
Es war Jahre her, dass Daniel das Bedürfnis verspürt hatte, wegzulaufen, aber jetzt war es wieder da. Er hatte Angst vor dem Resultat des Prozesses und fühlte sich verantwortlich für seinen Anteil daran.
Irene schritt vor dem Gerichtssaal hin und her, ihr Handy ans Ohr gepresst, und schleifte ihre Robe hinter sich her, als Daniel ins Old Bailey zurückkam. Er winkte ihr im Vorbeigehen zu, und sie hob den Blick.
Der Gerichtssaal 13 war fast voll. Sebastian wurde hereingeführt und nahm seinen Platz ein. Er schaute sich nach seiner Mutter um. Die Crolls saßen hinter ihm, sahen aber ihren Sohn nicht an. Charlotte hatte eine Sonnenbrille auf, die sie unent wegt auf ihrer Nase nach oben schob. Sie schlug ihre Beine übereinander und stellte sie wieder nebeneinander. Kenneth blickte auf seine Uhr und dann zu dem Kronanwalt der Anklage, Gordon Jones, hinüber, dem es, fand Daniel, auch ohne seine Perücke gelang, wie ein Volksschuldirektor auszusehen. Jones, mager und stets an der Hüfte leicht nach vorn gebeugt, war von unbestimmbarem Alter. Er konnte ohne Weiteres fünfunddreißig oder kurz vor der Pensionierung sein. Jones’ Gesichtshaut war straff über seinen Schädel gespannt.
»Was gab’s zu Mittag?», fragte Sebastian.
»Sandwich. Und bei dir?«
»Spaghetti Hoops, aber sie haben nicht gut geschmeckt. Nach Plastik oder irgendwas.«
»Das ist nicht gut.«
»Ich hab nur wenig gegessen. Sie waren eklig.«
»Du musst Hunger haben. Möchtest du ein Bonbon? Du musst noch eine ganze Weile durchhalten.«
Sebastian steckte sich einen von Daniels Pfefferminzbonbons in den Mund. Daniel bemerkte, wie einer von den Journalisten auf ihn zeigte, als er Sebastian die Bonbons anbot, und sich dann Notizen machte.
Sebastian schien mit sich selbst zufrieden. Der Richter betrat den Saal. Irene war noch nicht zurück, und so sprang ihr Mitarbeiter für sie ein. Aber dieser Nachmittag gehörte der Anklage.
Gordon Jones erhob sich und stützte sich mit zwei Fingern auf sein Pult.
»Meine Damen und Herren Geschworene, ich erscheine vor Ihnen im Namen der Staatsanwaltschaft. Der Angeklagte wird von meiner geschätzten Kollegin, Miss Clarke, vertreten.«
Er holte tief Luft und atmete wieder aus. Es hätte ein Atemholen sein können, um sich zu beruhigen, bevor er begann, aber Daniel wusste, dass es ein Seufzer sein sollte.
»William Butler Yeats hat einmal geschrieben: Die Unschuldigen und die Schönen haben keinen anderen Feind als die Zeit. Ben Stokes war unschuldig, und er war schön. Er war ein schöner
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