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Der Schuldige: Roman (German Edition)

Der Schuldige: Roman (German Edition)

Titel: Der Schuldige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Ballantyne
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einfach … verschwunden.«
    Madeline Stokes weinte jetzt. Daniel war gerührt, und er wusste, die Geschworenen waren es auch. Ihre linke Hand zeichnete sich inzwischen rot gegen den Zeugenstand ab, aber ihr Gesicht war noch immer weiß. Wenn sie weinte, hielt sie die Hand vor den Mund. Daniel musste daran denken, was Harriet ihm von Minnie erzählt hatte, als sie ihre Tochter verlor. Er erinnerte sich an den Tag auf dem Markt, als Minnie ihre kalten Hände auf seine gelegt hatte und ihre traurigen, wasserblauen Augen ihn gebeten hatten, nicht von ihrer kleinen Tochter zu reden. Wie Minnie hatte Madeline Stokes nur ein Kind. Sie hatte alles verloren, was wichtig war, und nun war die Welt ein dunkler Ort.
    »Ich rief in noch ein paar anderen Straßen nach ihm und blieb am Eingangstor zu dem Park stehen, aber ich konnte ihn da drin nicht sehen. Ich rief seine Freunde an, dann seinen Vater, und wir … riefen im Krankenhaus und bei der Polizei an.«
    »Haben Sie auch Ihre Nachbarn, die Crolls, angerufen?«
    »Nein.« Sie wischte sich mit den flachen Händen über ihr Gesicht. Ihre Augen waren jammervolle rote Kieselsteine. Sie glänzten – sahen erneut die Szene, durchlebten noch einmal den Schrecken. »Nein, habe ich nicht.«
    »Hat Ben gelegentlich mit Sebastian gespielt?«
    »Ja, in der Schule eigentlich nicht, aber manchmal an den Wochenenden. Zuerst fand ich das in Ordnung, aber dann kam ich dahinter, dass Sebastian Ben tyrannisierte, ihn in Schwierigkeiten brachte, und ich verbot, dass sie sich weiter sahen.«
    »Können Sie erläutern, was Sie mit ›tyrannisieren und in Schwierigkeiten bringen‹ meinen?«
    »Na ja, als wir in den Richmond Crescent zogen, fragte Sebastian, ob Ben rauskommen und mit ihm spielen wolle. Ich war erfreut, dass es so dicht in unserer Nähe einen kleinen Jungen gab, auch wenn er etwas älter war, aber dann kam ich zu der Überzeugung, dass er eigentlich nicht … passend war.«
    »Und warum, wenn ich fragen darf?«
    »Nachdem Ben mit Sebastian gespielt hatte, gebrauchte er einige sehr vulgäre Kraftausdrücke – Wörter, die er vorher nicht kannte. Ich schimpfte ihn deswegen aus und untersagte ihm ein paar Tage lang, mit Sebastian zu spielen, aber trotzdem spielten sie an Wochenenden gelegentlich miteinander. Dann bemerkte ich, dass Ben blaue Flecken hatte, nachdem er mit Sebastian gespielt hatte. Ben erzählte mir, Sebastian würde ihn schlagen, wenn er nicht tat, was er verlangte. Ich beschwerte mich bei Sebastians Mutter und sagte zu Ben, er dürfe nie wieder mit Sebastian spielen.«
    »Als Sie sich bei Sebastians Mutter beschwerten, bekamen Sie da eine befriedigende Antwort?«
    »Nein, Sebastian kann in diesem Haus machen, was er will, jedenfalls höre ich das. Seine eigene Mutter hat ihn nicht unter Kontrolle, und sein Vater ist oft weg. Ich glaube nicht, dass es ihr gut geht.«
    Mrs. Stokes putzte sich die Nase und redete in ihr Taschentuch. Daniel beobachtete Charlotte aus den Augenwinkeln. Sie wirkte teilnahmslos, aber ihr Make-up glänzte inzwischen ein wenig. Keine der beiden Frauen sah die andere an. Sebastian saß kerzengerade da und starrte Madeline an. Er zwinkerte oft.
    »Sie nahmen also wegen Bens Verschwinden mit den Crolls keinen Kontakt auf, weil Sie Ihrem Sohn verboten hatten, mit Sebastian zu spielen, und deshalb nicht vermuteten, dass die beiden Jungen zusammen sein könnten. Aber Sie meinen, dass Ben Ihnen nicht gehorcht haben könnte …«
    Mrs. Stokes begann, leise zu weinen. Ihre Schultern bebten, und sie kniff ihre Nase mit dem Papiertaschentuch zusammen. Ihre Stimme war tiefer, als sie wieder zu sprechen begann.
    »Ben war von Sebastian fasziniert , vermute ich. Er war der stärkere, ältere Junge. Ben hatte monatelang nicht mit Sebastian gespielt, und ich konnte mir einfach nicht denken … Jetzt, jetzt … erscheint es mir naheliegend.«
    »Was geschah, nachdem Sie das Krankenhaus und die Polizei angerufen hatten?«
    »Mein Mann kam nach Hause. Die Polizei war fantastisch. Ich erwartete nicht, dass sie alles so prompt tun würde, aber die Beamten hatten recht, gleich Details aufzunehmen, und sie halfen uns bei der Suche in der Gegend und beim Aushängen von Bens Personenbeschreibung.«
    »Danke, Mrs. Stokes«, sagte Gordon Jones.
    Irene Clarke erhob sich. Daniel beobachtete, wie sie ermutigend lächelte und ihre Hände auf dem Pult faltete. Vor Mrs. Stokes erschien sie ernst, geradezu zerknirscht.
    »Mrs. Stokes, ich bedaure zutiefst die schreckliche

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