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Der Schuldige: Roman (German Edition)

Der Schuldige: Roman (German Edition)

Titel: Der Schuldige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Ballantyne
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strahlte natürliche Autorität aus und benutzte die Terminologie des Gerichts in korrekter Aussprache.
    Das Gericht wartete, bis die Geschworenen nach draußen geschlurft waren: acht Männer und vier Frauen, zwei jung, die restlichen mittleren Alters. Daniel beobachtete ihren Abgang.
    »Euer Ehren, wir möchten ein Gesuch auf Aussetzung des Prozesses vorlegen mit der Begründung, dass die vorprozessuale Berichterstattung sich abträglich auf die Sache meines Mandanten ausgewirkt hat. Ich lege dem Gericht eine Auswahl von Zeitungsausschnitten vor, die die äußerst gefühlsgeladene Sprache belegen, mit der der Fall in der Presse diskutiert worden ist. Die flächendeckende Berichterstattung über diesen Fall hat die Geschworenen höchstwahrscheinlich beeinflusst.«
    Der Richter seufzte, als er einen Blick auf das Bündel Zeitungsartikel warf, das ihm gereicht wurde. Daniel hatte diesen Richter schon früher erlebt: Philip Baron war einer der ältesten auf der Richterbank. Er war nach unpopulären Urteilen selbst ein Thema in der Regenbogenpresse gewesen. Er hatte Schlagzeilen gemacht, weil er als Richter in Vergewaltigungsprozessen eine abträgliche Sprache benutzt hatte. Er sah keinen Tag jünger als seine neunundsechzig Jahre aus.
    Der Kronanwalt der Anklage, Gordon Jones, argumentierte, dass die Geschworenen durch die Berichterstattung nicht zu Ungunsten beeinflusst worden seien, weil sie den Angeklagten nicht beim Namen genannt habe und die Hauptdetails des Falles der Presse nicht bekannt seien. Der Morgen verging, während die Artikel überdacht und diskutiert wurden. Dani els Magen knurrte, und er spannte seine Muskeln an, um es zu unterdrücken. Man hatte das Gefühl, dass der ganze Saal inzwischen erschöpft war. So viele Erwartungen, blockiert durch Bürokratie. Daniel war daran gewöhnt, aber während Irene für Sebastian kämpfte, sah er, dass der Junge sich bereits langweilte. Er hatte Bilder gezeichnet: winzig kleine miteinander verbundene Rädchen auf die Ecke seines Notizblocks. Daniel hörte ihn seufzen und auf seinem Stuhl hin und her rutschen.
    Der Richter räusperte sich.
    »Ich danke Ihnen, ich habe über diese Fragen nachgedacht und entscheide, dass der Prozess fortgesetzt wird, aber ich werde die Geschworenen an ihre Pflicht erinnern, die Fakten des Falles allein danach zu bedenken, wie sie hier vor Gericht vorgetragen werden. Aber eingedenk der Zeit meine ich, dies könnte ein geeigneter Moment sein, die Sitzung zu unterbrechen. Wir fahren nach dem Mittagessen fort …«
    Die Gerichtsverhandlung endete, und Sebastian wurde wieder nach unten in seine Zelle geführt.
    Irene verließ das Gericht, ehe Daniel mit ihr sprechen konnte, und so ging er hinunter zu den Zellen, um Sebastian zu besuchen. Der Aufseher schob die Klappe am Beobachtungsfenster zur Seite, um zu überprüfen, wo sich Sebastian befand, bevor er Daniel hineinließ.
    »Alles in Ordnung, Seb?«, fragte er. Sebastian saß auf der Kante des Betonbetts und sah hinunter auf seine Schuhe, die nach innen gedreht waren. »Gleich wirst du dein Mittagessen bekommen.«
    Sebastian nickte, ohne zu Daniel aufzublicken.
    »Ich weiß, es ist langweilig … wahrscheinlich das Schlimmste an einer Verhandlung.«
    »Ich hab mich nicht gelangweilt. Ich wollte nur, dass ich mir nicht anhören müsste …«
    »Was denn anhören? Was meinst du?«
    »Was an Schlechtem über mich gesagt wird.«
    Daniel holte tief Luft, nicht sicher, wie er reagieren sollte, und setzte sich neben ihn auf das Bett. »Es wird noch schlimmer, Seb«, sagte er schließlich und beugte sich nach vorn auf seine Ellenbogen, sodass sein Kopf auf einer Höhe mit dem des Jungen war.
    »Die erste Streitfrage haben wir verloren«, sagte Sebastian.
    »Stimmt«, antwortete Daniel, »aber es war eine Streitfrage, die zu verlieren wir erwartet haben.«
    »Warum streiten, wenn man weiß, dass man nicht gewinnen wird?«
    »Nun, zum einen, weil es um ein stichhaltiges Argument ging, und, vergiss nicht, falls vor Gericht ein Richter nicht deiner Meinung ist, kann in der Berufung ein anderer Richter meinen, dass du recht hast.«
    Sebastian schwieg wieder und schaute zu Boden. Daniel war nicht sicher, ob der Junge ihn verstanden hatte. Er überlegte, ob er ihm noch mehr erklären sollte, wollte den Jungen aber nicht noch mehr belasten. Er stellte sich vor, wie er sich als elfjähriger Junge gefühlt haben würde, allein in dieser Zelle. Er war dicht daran gewesen. Die Thorntons hätten ihn ohne

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