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Der Schuldige: Roman (German Edition)

Der Schuldige: Roman (German Edition)

Titel: Der Schuldige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Ballantyne
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vor, bis sich seine braunen Augen scharf stellten. Es erschien ihm jetzt unbegreiflich, dass er so lange solche Wut auf sie aufrechterhalten konnte. Er hatte immer mehr von ihr verlangt – Reue hatte ihm nie genügt. Er hatte nicht bedacht, was sie bereits verloren hatte, bevor er sie zwang, auch ihn zu verlieren.
    Daniel holte tief Luft. Mit einem so heftigen Bedauern auf der Seele wäre er am liebsten dem Tag nicht gegenübergetreten, aber er war bereit für ihn.
    In seiner Zelle spielte Sebastian mit dem Polizeibeamten »Schere, Stein, Papier«. Er kniete in Jackett und Krawatte auf dem Betonbett und kicherte. Die Geschworenen sollten das sehen, dachte Daniel: kein Monster, sondern ein Kind, das noch immer Freude an kindlichen Dingen hat.
    »Wollen Sie mitspielen, Mr. Hunter?«, fragte Sebastian.
    »Nein, wir müssen gleich gehen.«
    Der Richter erklärte sich damit einverstanden, dass Sebastian aussagte, aber es gab keinen Zweifel, dass dies nur mittels Video möglich sei. Es war unmöglich abzuschätzen, wie gut in Form der Junge an dem Tag wäre, außerdem gab es praktische Erwägungen, wie zum Beispiel, dass er von Statur zu klein für den Zeugenstand sei und dass das Gericht sein Mienenspiel sehen müsse. Das System der Strafjustiz war im Laufe der Jahre wegen seiner Indifferenz gegenüber jungen Menschen, die schwerer Verbrechen angeklagt waren, genug kritisiert worden, und Richter Baron wollte das Verfahren nicht weiterer Kritik aussetzen. Das Videobild würde dem Gericht gezeigt werden, aber von der Galerie aus nicht zu sehen sein.
    Auf dem Weg zum Gerichtssaal warf Daniel einen Blick auf sein Handy. Es gab eine SMS von Cunningham.
    Austausch der Hausverträge Ende der Woche. Erbitte Anruf.
    Daniel blieb in dem mit Platten gefliesten Korridor stehen, über den sich die steinernen Bögen des alten Gerichts wölbten. Nicht jetzt. Nicht jetzt. Er stieß den Atem aus und presste die Lippen zusammen. Irene tauchte neben ihm auf.
    Daniel schaltete sein Handy aus und steckte es ein.
    »Hör zu, ich möchte, dass du ihn heute Morgen scharf im Auge behältst. Solltest du irgendwie das Gefühl haben, dass er’s nicht schafft, können wir die Sache abbrechen. Er scheint mit dir zu reden«, sagte sie.
    »Ich bin nicht bei ihm. Sie haben eine Sozialarbeiterin …«
    »Ich weiß, aber wir machen regelmäßig Pausen. Guck nach ihm.«
    »Mach ich … Viel Glück«, sagte Daniel.
    »Euer Ehren, ich rufe jetzt … Sebastian Croll auf.«
    Der Monitor flackerte, und dann erschien Sebastians Gesicht.
    Er saß gerade da und lächelte schwach.
    »Sebastian?«, sagte Philip Baron und drehte sich um, um dem Bildschirm das Gesicht zuzuwenden.
    »Ja, Sir?«
    Daniel lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Ja, Sir . Beim Probelauf war Sebastian nicht gesagt worden, dass er den Richter so anreden solle. Daniel blickte zur Galerie hinauf. Sie war heute voll besetzt, aber unruhig. Daniel spürte die Enttäuschung der Journalisten, weil sie das Videobild nicht sehen konnten: Hälse reckten sich, und Finger tauchten auf der Balkonbrüstung auf.
    »Ich möchte dir eine Frage stellen. Weißt du, was es bedeutet, die Wahrheit zu sagen?«
    »Ja, Sir, es bedeutet, man darf nicht lügen.«
    »Und kennst du den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge?«
    »Ja, die Wahrheit ist das, was wirklich passiert ist, und eine Lüge ist, was nicht passiert ist.«
    »Und wenn du versprichst, heute die Wahrheit zu sagen, was bedeutet das deiner Meinung nach?«
    »Ich muss die Wahrheit sagen.«
    »Sehr gut«, sagte Baron zum Gericht. »Er darf vereidigt werden.«
    Irene erhob sich. »Ich möchte, dass du uns zu allererst etwas über dein Verhältnis zu Ben Stokes erzählst. Wie lange hast du Ben gekannt?«
    »Ungefähr drei oder vier Jahre.«
    »Und wie würdest du Ben bezeichnen, würdest du ihn als einen Freund bezeichnen?«
    »Er war mein Freund und mein Nachbar und mein Schulkamerad«, sagte Sebastian klar und deutlich.
    »Und hast du regelmäßig mit ihm gespielt?«
    »Ich habe manchmal mit ihm gespielt.«
    »Wie oft war das, was würdest du sagen?«
    Sebastians projiziertes Gesicht wurde ernst, die großen, grünen Augen wanderten seitlich nach oben, während er über die Frage nachdachte. »Vielleicht ungefähr dreimal im Monat.«
    »Und was habt ihr zusammen gemacht?«
    »Na ja, wenn wir in der Schule waren, haben wir vielleicht mit einem Ball oder Fangen gespielt. Wenn wir zu Hause waren, kam er manchmal zu mir oder ich ging zu ihm, aber

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