Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schuldige: Roman (German Edition)

Der Schuldige: Roman (German Edition)

Titel: Der Schuldige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Ballantyne
Vom Netzwerk:
tränenüberströmt.
    »Liebling, bitte «, sagte Charlotte, während ihre Fingernägel zögernd über ihrem Sohn schwebten. Ihre Hände waren rot, die Adern traten hervor, und ihre Finger zitterten. »Liebling, was um alles auf der Welt … ? Beruhige dich doch bitte. Mummy hat es nicht gern, wenn du so wütend bist. Reg dich doch bitte nicht so auf.«
    Daniel wäre jetzt am liebsten gelaufen, um seine Muskeln zu strecken und das schrille Geschrei des Jungen und den verkrampften Ernst des Vernehmungszimmers hinter sich zu lassen. Er ging auf die Toilette, klatschte sich kaltes Wasser ins Gesicht und betrachtete sich in dem kleinen Spiegel, die Hände auf das Waschbecken gestützt.
    Am liebsten hätte er den Fall abgegeben, nicht, weil er war, was er war, sondern aufgrund dessen, was er zu werden drohte. So wie die Polizisten Sebastian in die Zange nahmen, vermutete er, dass sie irgendwelche positiven Ergebnisse aus dem Labor erhalten hatten. Sollte der Junge angeklagt werden, würden sich die Medien darauf stürzen. Dazu fühlte Daniel sich nicht bereit. Vor nur einem Jahr hatte er den Fall eines jugendlichen Straftäters übernommen – der Junge wurde beschuldigt, auf ein anderes Gangmitglied geschossen zu haben. Der Fall war ans Old Bailey gegangen, und der Junge war zu Haft verurteilt worden. Er war ein schutzloser Mandant gewesen, mit sanfter Stimme und abgekauten Nägeln. Gerade jetzt wurde Daniel bei dem bloßen Gedanken übel, dass der Junge im Gefängnis saß. Und nun ging es schon wieder um ein Kind, das drauf und dran war, in die Mangel der Justiz zu geraten, nur war der Junge noch jünger.
    Daniel stand gerade an der Pförtnerloge, als der Kriminalkommissar auf ihn zukam und ihn am Ellbogen fasste. Er war ein großer, stämmiger Mann mit grauem, kurz geschorenem Haar und verzweifelten, haselnussbraunen Augen.
    »Schon gut«, sagte er und gab Daniel einen Klaps auf die Schulter. »Wir fühlen alle mit Ihnen.«
    »Mir geht’s gut«, antwortete Daniel. Sein Atem steckte ihm im Hals wie Schmetterlinge. Er hustete, als sie davonflatterten.
    »Sind Sie aus Newcastle?«
    Daniel nickte. »Und Sie?«
    »Hull. Kann’s bei Ihnen manchmal nicht erkennen, in Ihrem Akzent steckt viel London, stimmt’s?«
    »Lebe schon ’ne Zeit lang hier.«
    Sergeant Turner sagte zu Daniel, Kommissar McCrum wolle ihn sprechen. Er wurde in das enge, dunkle Dienstzimmer geführt, in das Tageslicht aus einem kleinen hoch liegenden Fenster fiel.
    »Bisschen beengt hier drin«, sagte der Kommissar, als er ins Zimmer trat.
    Daniel seufzte unwillkürlich, aber als McCrum es hörte, lachte er leise.
    »Alle machen wir das durch, trotzdem sind wir nicht daran gewöhnt.«
    Daniel hustete und nickte. Zum ersten Mal verspürte er eine Nähe zu dem Mann.
    »Das Schwerste, was ich jemals tun musste. Dieser armen Frau zuschauen, als sie diesen kleinen Kerl sah – auf so scheußliche Weise ermordet. Schwer … Haben Sie Kinder, Daniel?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Ich habe zwei. Man darf verdammt noch mal gar nicht darüber nachdenken, stimmt’s?«
    »Die Situation …«
    »Die Situation hat sich verändert. Wir werden ihn wahrscheinlich des Mordes an dem kleinen Ben anklagen.«
    »Mit welcher Begründung? Nach allem, was ich …«
    »Man hat ihn gesehen, wie er sich mit Ben geprügelt hat, den wir am nächsten Morgen tot aufgefunden haben. Wir haben inzwischen einen mündlichen Bericht des gerichtsmedizinischen Labors, der bestätigt, dass das Blut an Sebastians Schuhen und Kleidern, die aus dem Haus mitgenommen wurden, das Blut des kleinen Ben ist. Wir werden ihn die nächsten Stunden darüber befragen. Wir werden einen Richter um mehr Zeit ersuchen, wenn wir bis zwei kein Geständnis haben. Den Durchsuchungsbefehl für das Haus der Familie haben wir heute Morgen erhalten, und die Kriminaltechniker sind immer noch dort … Wer weiß, was sie sonst noch entdecken.«
    »Was ist mit dem Material aus der Videoüberwachung?«
    »Das gehen wir noch durch.«

4
    Am Morgen stand Daniel auf, zog sich an und ging nach unten. Minnie war nicht da, und er stand eine Weile unschlüssig in der Küche und überlegte, was er tun sollte. Er hatte eigentlich nicht geschlafen. Den Porzellanschmetterling hatte er nicht zurückgelegt, als er sich die Zähne putzte, sondern in seinem Zimmer versteckt. Er hatte sich entschlossen, ihn niemals zurückzugeben. Er wollte ihn behalten, nur weil sie ihn unbedingt zurückhaben wollte. Er wusste nicht einmal mehr, warum

Weitere Kostenlose Bücher