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Der Schuldige: Roman (German Edition)

Der Schuldige: Roman (German Edition)

Titel: Der Schuldige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Ballantyne
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Stiefel in dem Gras und bemerkte, dass ihr Rock hinten mit Matsch bespritzt war. Seine Arme fühlten sich komisch an, und er schüttelte sie, um das schlechte Gefühl in ihnen loszuwerden.
    »Schau mal!«, sagte sie, blieb stehen und zeigte auf den Himmel. »Siehst du ihn?«
    »Was?«
    »Einen Turmfalken! Siehst du den mit den spitzen Flügeln und dem langen Schwanz?«
    Der Vogel beschrieb einen weiten Bogen am Himmel und ließ sich dann auf dem Wipfel eines hohen Baums nieder. Daniel sah ihn und hob die Hand, um ihn noch deutlicher erkennen zu können.
    »Sie sind wunderschön. Wir müssen nur darauf achten, dass sie uns die Hühner nicht wegholen, wenn sie noch klein sind, aber ich finde, sie sind elegant, du nicht auch?«
    Daniel zuckte die Achseln.
    Die Schule war ein altes Gebäude, umgeben von baufälligen Hütten. Ihm gefiel der Anblick nicht, aber er folgte Minnie die Treppe hinauf. Da sie keinen Termin gemacht hatten, mussten sie Platz nehmen und warten. Schulen mochte er nicht, und er hatte das Gefühl, die Decke des Raums drücke ihn nieder. Wieder schien sie zu spüren, wie er sich fühlte.
    »Es ist okay, Schätzchen«, sagte sie. »Du musst ja nicht heute hier anfangen. Wir müssen dich nur anmelden. Wenn sie dich eingetragen haben, besorgen wir dir ein paar neue Klamotten. Du kannst sie dir selber aussuchen. In vernünftigen Grenzen, wohlgemerkt, ich bin nicht aus Geld gemacht«, sagte sie und beugte sich zu ihm.
    Sie roch geradezu blumig: die deutliche Fahne vom Gin des vergangenen Abends, aber dazu die Zitrone und der feuchte Geruch ihrer Wolle, der Hühner und irgendwie auch ein Hauch des Sommergrases, durch das sie auf dem Weg zur Schule gestreift waren. Als er sie roch, fühlte er sich ihr für einen Moment nahe.
    Der Schulleiter war bereit, sie zu empfangen. Daniel erwartete, dass Minnie ihn auffordern würde, draußen zu warten, aber sie zog ihn am Ellbogen in die Höhe, und sie betraten gemeinsam das Dienstzimmer des Rektors. Er war ein Mann in mittleren Jahren mit dicken Brillengläsern. Daniel hasste ihn, ehe er sich auch nur gesetzt hatte.
    Minnie brauchte Ewigkeiten, um vor dem Schreibtisch des Rektors auf dem Stuhl neben Daniel Platz zu nehmen. Sie wickelte sich aus ihrem Schal, zog ihren Mantel aus und ordnete dann umständlich ihre Strickjacke und den Rock. Daniel sah, dass sie morastige Fußspuren hinterlassen hatte, die sich von dem Warteraum bis in das Büro zogen.
    »Minnie«, sagte der Schulleiter. »Immer ein Vergnügen.«
    Daniel sah an dem dreieckigen Namensschild auf dem Schreibtisch, dass er Mr. F. V. Hart hieß.
    Minnie hüstelte und drehte sich zu Daniel um.
    »Ja«, sagte Hart. »Und wen haben Sie heute für uns?«
    »Das ist Daniel«, sagte Minnie, »Daniel Hunter.«
    »Verstehe, und wie alt bist du, Daniel?«
    »Elf«, sagte er. Seine Stimme klang seltsam in dem Zimmer, wie eine Mädchenstimme. Daniel blickte wieder auf den Teppich und Minnies dreckige Stiefel.
    Mr. Harts Augen wurden schmal, während er Daniel anblickte. Minnie machte ihre Handtasche auf und legte ein Blatt Papier vor Mr. Hart hin. Es waren die Unterlagen vom Sozialamt. Mr. Hart griff danach und zündete sich gleichzeitig seine Pfeife an, wobei er das Mundstück fest zwischen die Zähne klemmte und daran saugte, bis der giftige, dicke Rauch über Minnie und Daniel hinwegzog.
    »Es scheint, wir haben noch nicht seine Papiere von der letzten Schule, auf der er war. Auf welcher Schule war er zuletzt?«
    »Vielleicht könnten Sie ihn selber fragen? Er sitzt ja vor Ihnen.«
    »Nun, Daniel?«
    »Graves School in Newcastle, Sir.«
    »Verstehe. Wir werden sie anfordern. Was für ein Schüler bist du dort gewesen, Daniel, was würdest du sagen?«
    »Weiß nicht«, sagte er. Er hörte Minnie atmen und dachte, sie würde ihm vielleicht zulächeln, aber als er sich umdrehte, sah sie ihn überhaupt nicht an. Hart zog seine Augenbrauen in die Höhe, und so setzte Daniel hinzu: »Nicht der beste.«
    »Warum habe ich das Gefühl, dass das eine Untertreibung ist?«, sagte Hart, zündete sich seine Pfeife erneut an und saugte daran, bis ihm Rauch aus der Nase quoll.
    »Das hier ist dein Neuanfang«, sagte Minnie und sah Daniel an. »Nicht wahr? Ab jetzt nimmst du dir vor, ein echtes Vorbild zu sein.«
    Er wandte sich ihr zu und lächelte, dann drehte er sich zu Hart um und nickte.
    Daniel erwachte am nächsten Morgen mit dem Gedanken an die neue Schule, der schwerer auf ihm lastete als seine Bettdecken. So viele neue

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