Der Schuldige: Roman (German Edition)
mitspielen, Mann? Auf ein Tor?«
Der Junge, der ihn das fragte, war klein wie Daniel und hatte rote Haare, und seine lange graue Hose war mit Matsch bespritzt. Er wischte sich die Nase mit seinem Ärmel, während er auf Daniels Antwort wartete.
Daniel hüpfte von der Mauer und ging auf ihn zu, die Hände in den Hosentaschen.
»Klar, Mann.«
»Kannst du Fußball?«
»Ja.«
Das Spiel gab ihm ein gutes Gefühl. Seit dem Streit mit Minnie über die Halskette hatte ihm etwas Schweres, Dunkles im Magen gelegen, und er fühlte, wie es sich für einen Moment auflöste, als er über das morastige Spielfeld rannte. Am liebsten hätte er ein Tor geschossen, um sich zu beweisen, aber es gab keine Gelegenheit dazu. Er spielte mit viel Einsatz und war außer Atem, als die Klingel ertönte.
Der Junge, der ihn zum Mitspielen aufgefordert hatte, kam am Ende zu ihm. Er lief neben Daniel her, den Ball unter den Arm geklemmt.
»Du spielst gut. Du kannst morgen wieder mitspielen, wenn Kev nicht zurückkommt.«
»Ja.«
»Wie heißt du?«
»Danny.«
»Ich bin Derek. Bist du der Neue?«
»Ja.«
Ein Junge mit schwarzen Haaren versuchte, Derek den Ball aus den Händen zu schlagen.
»Hör auf. Das ist meiner. Das hier ist Danny.«
»Ich weiß«, sagte der Junge mit den schwarzen Haaren. »Du bist das neue Pflegekind auf der Flynn Farm, stimmt’s? Wir sind die Nachbarfarm. Meine Mum hat mir erzählt, dass Minnie die Hexe einen Neuen hat.«
»Warum nennst du sie Hexe?«
»Weil sie eine ist«, sagte Derek. »Pass lieber gut auf. Sie hat ihre Tochter umgebracht und dann ihren Mann auf dem Rasen vorm Haus gekillt. Jeder weiß das.«
Keine Geheimnisse , erinnerte sich Daniel. Jedermann kennt deine Verhältnisse.
»Meine Mum hat ihren Mann sterben sehen und den Krankenwagen gerufen, aber es war zu spät«, sagte der Junge mit den schwarzen Haaren. Er grinste Daniel an, sodass man die Abstände zwischen seinen Zähnen sah.
»Warum muss sie denn ’ne Hexe sein? Sie könnte doch genauso gut ’ne Mörderin sein?«
»Und warum wurde sie nie angeklagt? Mein Dad sagt, man muss sie bloß ansehen, um zu wissen, dass sie nicht richtig ist. Du könntest wie ihr letztes Pflegekind enden.«
»Was meinst du damit?«
»Sie war nur einen Monat bei Minnie. Niemand in der Schule hat auch nur ihren Namen gekannt. Richtig stilles Mädchen. Sie kriegte ’nen Anfall auf dem Schulhof und ist gestorben.«
Der Junge mit den schwarzen Haaren ließ sich auf den Boden fallen, um den Anfall vorzuspielen. Er lag mit gespreizten Beinen da und wedelte zittrig und wie elektrisiert mit den Armen herum.
Daniel sah sich das an. Er hatte plötzlich Lust, ihm einen Tritt zu versetzen, tat es aber nicht. Er zuckte die Achseln und folgte den Jungen ins Schulgebäude.
5
Nach seinem Lauf fror Daniel. Aber er genoss die herrliche Kühle, weil er wusste, in der U-Bahn würde es an einem Tag wie diesem stickig sein. Während er seine Krawatte band, warf er im Spiegel einen Blick in das Zimmer hinter ihm, wo das Licht der Morgensonne durch das Schlafzimmerfenster strömte. Er musste bis halb neun im Polizeirevier sein, damit die Befragung erneut beginnen konnte, aber er ließ sich wie immer Zeit, den Knoten sorgfältig zu binden, und unterdrückte ein Gähnen.
Am Abend zuvor, bei einem Bier nach Mitternacht, hatte er die Nummer vom City General Hospital in Carlisle herausgesucht. Er hatte beschlossen, nicht anzurufen, hatte sich aber die Nummer trotzdem notiert. Er wusste, falls Minnie wirklich krank wäre, hätte man sie dorthin gebracht. Nur der Gedanke, dass sie krank sein und sterben könnte, versetzte ihm einen Schmerz in der Brust und zwang ihn, tief Luft zu holen. Dem wich allmählich die glühende Wut auf sie, die ihm die Kehle austrocknete – und das nach all der Zeit. Er würde sie nicht anrufen. Sie war für ihn sowieso schon seit Jahren gestorben.
In dem Vernehmungszimmer atmete Daniel die abgestandene Luft der gestrigen Fragen, während er auf Sebastian wartete. Sergeant Turners Augen waren trübe. Der Ältere zupfte vorsichtig an seinem Kragen und zog seine Manschetten gerade. Daniel wusste, dass die Polizei einen mündlichen Bericht von der Gerichtsmedizin erhalten hatte, der bestätigte, dass an Sebastians Kleidung Blut war, das man eindeutig als Ben Stokes’ Blut identifiziert hatte. Das Material der Videoüberwachung war von der Polizei gesichtet worden, die noch bestätigen musste, dass die Jungen darauf zu sehen waren.
Sebastian war müde,
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