Der Schuldige: Roman (German Edition)
auf die Waden. Das Radio lief, und sie summte einen Popsong mit. Zunächst hatte er die Idee, gleich hinauf ins Badezimmer zu hetzen, aber unwillkürlich blieb er wie angewurzelt stehen. Er wollte, dass sie sich umdrehte und ihn sah, mit seiner Gewalttat besudelt.
»Was um alles auf der Welt …«, sagte sie mit einem Lächeln auf dem Gesicht, als sie sich umdrehte.
Vielleicht war es die Feder, die an seinem Turnschuh klebte, oder das leuchtende Gelb des Dotters zusammen mit dem Hühnerblut an seiner Wange. Minnies Lippen wurden schmal, und sie schob sich an ihm vorbei in den Hof. Er beobachtete sie von der Hintertür aus, wie sie mit einer Hand vor dem Mund am Eingang des Schuppens stand.
Sie kam ins Haus zurück, und er lauerte in ihrem Gesicht auf Wut, Abscheu, Enttäuschung. Sie sah ihn nicht an. Sie stampfte die Treppe hinauf und erschien Augenblicke später in ihrem grauen Rock, ihren Männerstiefeln und dem alten Sweatshirt, das sie trug, wenn sie sauber machte. Er stand direkt am Fuß der Treppe, und Ei und Blut trockneten an seinen Händen, was die Haut straff und trocken werden ließ. Er stand ihr im Weg und erwartete, bestraft zu werden, wünschte sich, bestraft zu werden.
Sie blieb unten an der Treppe stehen und sah ihn zum ersten Mal an diesem Tag an.
»Wasch dich«, war alles, was sie sagte.
Wieder schob sie sich an ihm vorbei und hinaus auf den Hof.
Vom Badezimmerfenster aus sah er, wie sie Eierschalen und das verschmutzte Stroh aufsammelte. Er schrubbte sich Hände und Gesicht, dann stand er da und sah ihr beim Arbeiten zu. Er klaubte die Feder von seinem Turnschuh und hielt sie zwischen Zeigefinger und Daumen, während er aus dem Fenster sah. Er ließ die Feder benommen, aber vertrauensvoll in den Wind segeln, als er sie zum Haus zurückkommen sah. Sie hielt das tote Huhn an dessen Füßen. Sein Hals baumelte lose hin und her mit jedem Schritt, den sie machte.
Er blieb oben, unter der Bettdecke, dann im Schrank, als sie unten arbeitete. Sein Magen begann zu knurren, als ihn die Erregung und Energie des Morgens verließ. Ihm war kalt, und er zog die Manschetten über seine Hände. Er kroch aus dem Schrank und betrachtete sich in dem Spiegel, den er erst vor einer Woche zerschlagen hatte.
Fieser kleiner Dreckskerl , fiel ihm wieder ein. Er schaute auf sein Gesicht, dessen Fragmente nicht zusammenpassten. Er fühlte sein Herz heftiger schlagen. Schließlich stellte er sich ans obere Ende der Treppe, dann setzte er sich dort hin und horchte auf die Geräusche, die sie in der Küche machte. Blitz kam die Treppe herauf, blieb schnaufend stehen und sah ihn an. Daniel streckte die Hand aus, um die Samtohren des Hundes zu streicheln. Das ließ Blitz einen Augenblick zu, dann drehte er sich um und tappte wieder nach unten. Daniel schlich sich vorwärts bis zur Mitte der Treppe, dann bis ganz nach unten, wo er stehen blieb und sich am Pfosten des Geländers festhielt. Er brauchte zehn Minuten, bis er den Mut aufbrachte, in der Tür zur Küche zu stehen.
»Ich habe keine Lust, dich auch nur anzusehen«, sagte sie, noch immer mit dem Rücken zu ihm.
»Bist du wütend?«
»Nein, Danny«, sagte sie, drehte sich um und sah ihn an. Sie stand da, mit zusammengepressten Lippen und geschwellter Brust. »Aber ich bin sehr traurig. Wirklich sehr traurig.«
Ihre Augen waren grimmig, tiefblau und wässerig und zu weit aufgerissen. Ihr Gesicht schien direkt vor ihm aufzuragen, obwohl sie auf der anderen Seite der Küche stand. Daniel seufzte und ließ den Kopf hängen.
Sie zog für ihn einen Stuhl unter dem Tisch vor. »Setz dich. Ich habe eine Aufgabe für dich.«
Er setzte sich. Sie stellte ein großes Küchenbrett mit dem toten Huhn darauf vor ihn hin.
»Folgendes hast du zu tun«, sagte sie, packte das Huhn und riss ihm Federn aus. Sie zog und zog wieder, und bald war ein nackter Fleck Haut zu sehen, pustelig und weiß.
»Dieses ermordete Huhn ist unser Abendessen«, sagte sie. »Es muss gerupft werden, ehe wir es ausnehmen und braten können.«
Minnie stand vor ihm und sah zu, wie er in die weichen Federn griff, deren Rot an der Wurzel in Grau überging. »Zieh«, sagte sie, »zieh fest.«
Daniel zog zu fest, und die Haut löste sich zusammen mit den Federn, was an dem Fleisch ein Brandmal hinterließ.
»So geht das«, sagte sie, schob seine Hand zur Seite und riss ein Büschel Federn aus, wobei die weiche, weiße, noppige Haut darunter heil blieb. »Schaffst du das?«
Daniel fühlte voller
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