Der Schuldige: Roman (German Edition)
Verlegenheit, dass sich seine Kehle zuschnürte und die Augen feucht wurden. Er nickte und öffnete den Mund, um etwas zu sagen.
»Ich will das nicht«, flüsterte er.
»Auch die Henne wollte nicht sterben, aber du hast sie schwer verletzt und dann getötet. Tu’s, tu’s auf der Stelle.«
Sie hatte sich von ihm weggedreht, und während sie redete, knallte sie ein Glas auf die hölzerne Arbeitsfläche. Daniel hörte das Klirren der Eiswürfel und das schwache Pinkelgeräusch des Jif-Zitronensafts, den sie nahm, wenn sie kein Geld oder keine Lust auf echte Zitronen hatte. Die ernüchternde Schwere der Ginflasche, die aufgeschraubt wurde, ließ Daniel erschauern, und er tat, was sie verlangte. Zaghafter diesmal ergriff er die Federn des Huhns und zog. Die plötzliche Nacktheit des Vogels war erschreckend.
Als das Huhn gerupft war, saß Daniel da, Federn an den Fingern und den pockigen Vogel vor sich. Am liebsten wäre er weggerannt, nach draußen gelaufen, um die Schaukeln zu verheddern, sodass die kleinen Kinder sie nicht benutzen konnten. Er wäre gern in den Schrank zurückgekrochen, um dessen nahe, dunkle Umarmung zu spüren. Vom Geruch des gerupften toten Huhns wurde ihm übel.
Minnie nahm den Vogel und schnitt ihn zwischen dessen Schenkeln auf. Es war ein grober, mühsamer Schnitt, und Daniel spürte die Kraft, die sie dafür aufwandte. Sie langte ins Innere, und Daniel sah ihre dicke rote Hand verschwinden.
»Du musst so tief hineingreifen, wie du kannst, bis du den festen Klumpen – den Magen – fühlst. Pack ihn fest und zieh vorsichtig und langsam. Alles sollte zusammen rauskommen, wohlgemerkt. Hier! Versuch’s, ich möchte es nicht für dich tun.«
»Ich will nicht.« Daniel hörte seine eigene Stimme als Gewimmer.
»Sei nicht kindisch.« Noch nie zuvor hatte sie ihn verhöhnt, aber jetzt hörte er das in ihrer Stimme.
Über die Spüle gebeugt, deren Becken unter ihm bebte, steckte Daniel seine Hand in das blutige Innere des Huhns.
»Mach dir keine allzu großen Gedanken um die Lunge», sagte Minnie. »Sie bleibt meist drinnen hängen.«
Daniel war übel, aber er versuchte, die warmen Eingeweide zu greifen und herauszuziehen. Mit jedem Zug krampfte sich sein Magen zusammen, und Galle stieg ihm in den Hals. Als es ihm endlich gelang, den dunklen roten Schlick nach draußen zu ziehen, machte er einen Schritt zurück, während sich sein eigenes Inneres zusammen mit dem des Vogels auf den Boden ergoss.
Daniel beugte sich vor und erbrach sich auf den Küchenboden. Er hatte nichts gegessen, und so war sein Erbrochenes eine dünne gelbe Flüssigkeit, die auf die Eingeweide des Vogels platschte.
»Ist okay», sagte Minnie. »Ich kümmer mich drum. Geh dich waschen.«
Im Bad würgte Daniel trocken in die Kloschüssel, dann ließ er sich gegen die Wand sacken. Der Schmetterling lächelte ihn von seinem Bord herab an. Ihm war elend zumute. Er fühlte sich wie eine Schnecke, die aus ihrem Gehäuse herausgeschnitten war. Er wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser , dann putzte er sich die Zähne, bis der Kotzege schmack weg war.
Er wartete ein paar Minuten, bevor er in die Küche zurückgehen wollte. Er fühlte sich merkwürdig, als wollte er das Badezimmer nicht verlassen. Er fühlte sich so wie im Badezimmer zu Hause, wenn einer von den Männern seiner Mutter wehtat. Er fühlte dieselbe dunkle Suppe aus Angst in seinem Magen und dasselbe Jucken in seinen Muskeln.
Vorsichtig entriegelte Daniel die Tür und blieb am oberen Ende der Treppe stehen. Er legte sich angezogen ins Bett, schlief aber nicht. Er horchte angestrengt auf die Geräusche, die sie in der Küche machte. Der Herd, der geöffnet und geschlossen wurde, ihre Schritte über den Küchenboden, ihre Worte zu Blitz und dann das Geräusch, als sie Blitz das Futter in seinen Napf schüttete.
»Du bist seit Ewigkeiten da oben«, sagte Minnie, als sie ihn sah. »Ich wäre fast raufgekommen, um nach dir zu sehen. Es ist nach zwei, und du hast noch kein Frühstück gehabt. Hast du jetzt Hunger?«
Daniel schüttelte den Kopf.
»Aber du wirst was essen. Setz dich.«
Daniel setzte sich an den Tisch und blickte auf das doofe Platzdeckchen, auf dem ein Pony zu sehen war.
Sie hatte das Huhn gebraten und zerlegt. Scheiben des Brustfleischs lagen auf seinem Teller neben Mais aus der Dose und gekochten Kartoffeln.
»Iss das.«
»Will’s nicht.«
»Du isst das.«
»Ich will’s nicht.« Er schob den Teller weg.
»Du kannst es umbringen, also
Weitere Kostenlose Bücher