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Der Schuldige: Roman (German Edition)

Der Schuldige: Roman (German Edition)

Titel: Der Schuldige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Ballantyne
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übernimm auch die Verantwortung. Du wirst es essen. Du wirst erfahren, dass es tot und sein Nährgehalt in dir drin ist.«
    »Ich werd’s nicht essen.«
    »Du wirst hier sitzen, und ich werde hier sitzen, bis du’s gegessen hast.« Minnie knallte ihren Drink auf den Tisch. Das Eis zitterte wie aus Protest.
    Sie saßen da, bis ihr Glas leer war. Er dachte, sie würde aufstehen und es wieder füllen, und das wäre für ihn das Startzeichen gewesen, nach draußen zu gehen, aber sie ließ das Glas leer vor sich stehen. Sie sah ihn an und blinzelte müde. Die Zeit wucherte um sie hoch wie das Moos auf den Steinen im Hof. Daniel sah das kalte Huhn und das Gemüse auf seinem Teller und überlegte, ob er es wie Pillen runterschlucken könnte.
    »Und wenn ich das Gemüse esse?«
    »Du bist ein kluger Junge und du fragst mich das? Du weißt, dass es mir gleichgültig ist, ob du das Gemüse anrührst, aber ich bestehe darauf, dass du jedes Stückchen von dem Huhn isst, das du umgebracht hast. Die Hühner sind mein Lebensunterhalt, aber nicht deswegen bin ich wütend. Du weißt, dass ich diese Tiere esse, wenn ihre Zeit gekommen ist. Ich sorge für sie und liebe sie und, ja, wir essen sie, aber dann werden sie wie sich’s gehört geschlachtet und nicht gewaltsam umgebracht, nicht aus Hass oder Wut. Das hier ist tot, und wir werden es nicht verkommen lassen, sondern ich möchte, dass du weißt, dass es deinetwegen tot ist, wegen der Dinge, die du getan hast. Denn sonst hätten wir morgen seine Eier. Ich weiß, dass du schwere Zeiten durchgemacht hast, Danny, und du kannst jederzeit, wann immer du willst, mit mir darüber reden. Ich weiß, dass du wütend bist, und du hast ein Recht, es zu sein. Ich werde mein Bestes tun, dir zu helfen, aber ich kann es nicht zulassen, dass du jedes Mal, wenn es dir nicht gut geht, meine Hühner umbringst.«
    Daniel begann zu weinen. Er weinte wie ein Kind, das kleiner war als er, er lag zusammengesackt in dem Stuhl und brummelte seine Traurigkeit leise über seine nassen Lippen. Er legte eine Hand über die Augen, um sie nicht ansehen zu müssen.
    Als er zu weinen aufhörte, öffnete er die Augen und holte mehrere Male tief Atem. Sie saß noch immer mit ihrem leeren Glas vor ihm, ihre stahlblauen Augen auf ihn gerichtet.
    »Beruhige dich, okay? Komm wieder zu Atem und iss es.«
    Besiegt richtete Daniel sich auf und begann, das Fleisch zu zerschneiden. Er schnitt ein sehr kleines Stück ab und spießte es auf seine Gabel. Er ließ das Fleisch seine Zunge berühren, dann nahm er es in den Mund.

SCHULD

13
    Daniel schaute auf die Uhr und sah, dass es fast drei Uhr morgens war. Kühles blaues Licht sickerte ins Zimmer. Er konnte nicht sagen, ob es der Mond oder die Straßenlaternen waren, die das kalte, nüchterne Leuchten erzeugten. Er hatte bis zehn gearbeitet, an seinem Schreibtisch Abendbrot gegessen und war dann auf dem Heimweg auf ein Bier ins Crown gegangen. Flüchtig streiften ihn sexuelle Begierden, aber der Stress des Tages hatte ihn ausgepowert, und er fühlte sich leicht, während er sich in dessen Gefolge von einer Seite zur anderen drehte.
    Er lag im Halbdunkel auf dem Rücken, die Hände hinter dem Kopf. Er dachte an die Jahre voller Wut auf Minnie, die zu Jahren der Nichtbeachtung zusammengeschnurrt waren. Das war seine Verteidigung gegen sie gewesen, erkannte er: Wut und Nichtbeachtung. Jetzt, wo Minnie tot war, war seine Wut noch immer da, aber sich selbst überlassen. Im Halbschlaf sah er die Wut ziellos umherschweben und -kreisen.
    Vor so vielen Jahren hatte er beschlossen, sie zu verlassen, und jetzt war es für ihn schwierig, um sie zu trauern. Um zu trauern, musste er sich erinnern, und die Erinnerung bedeutete Schmerz. Er zwinkerte im Halbdunkel mit den Augen, als er sich an sein Examen und die ersten Jahre als Anwalt in London erinnerte. All das war ohne sie geschehen. Er war stolz auf seine Unabhängigkeit gewesen. Nach der Trennung von ihr hatte er seinen Weg durch die Universität selbst bezahlt und dann nur drei Monate nach dem Examen eine Stelle in einer Kanzlei in London gefunden. Er hatte es sich als Verdienst angerechnet, aber jetzt, im dämmrigen Licht, war er ehrlich genug, sich zu fragen, ob er es überhaupt auf die Universität geschafft hätte, wenn Minnie nicht gewesen wäre.
    Er fühlte die Dunkelheit um sich kreisen und sich auf seiner Brust niederlassen, boshaft und schwarz glänzend wie ein Rabe. Daniel legte eine Hand auf seine nackte Brust, als wollte

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