Der Schuldige: Roman (German Edition)
rollte sich auf dem Sofa zusammen, während er sich Are You Being Served ansah, über die Witze lächelte, nicht lachte, von denen er nur einige verstand, und weiterhin das Knacken des Feuers und das Klingeln ihrer Eiswürfel im Hintergrund hörte. Er fühlte sich sicher, ja, so fühlte er sich. Er fühlte sich sicher bei ihr, auch wenn sie betrunken und eine schlechte Fahrerin war und komisch roch. Er wollte nicht von ihr weg.
Als die Sendung zu Ende war, wollte Blitz nach draußen, und Daniel ließ ihn zur Hintertür hinaus. Als Blitz zurückkam, verriegelte Daniel die Tür und nahm einen Keks aus der Dose. Im Wohnzimmer war Minnies Glas leer, und sie hatte Tränen im Gesicht.
Das Wärmegefühl ließ nach, als er sie betrachtete. Sie starrte auf den Fernseher, aber Daniel merkte, dass sie ihn nicht sah. Das graue Licht spiegelte sich auf ihrem Gesicht. Daniel ging zu dem Feuer, stellte sich mit dem Rücken zu ihm hin und spürte die Hitze an der Rückseite seiner Beine.
»Ist mit dir alles in Ordnung?«, fragte er.
Minnie wischte sich mit einer Handfläche über das Gesicht, links und dann rechts, aber schon benetzten neue Tränen ihre Wangen.
»’schuldigung, Liebling. Achte einfach nicht auf mich«, sagte sie. »Ich habe über heute nachgedacht. Du hast mir einen solchen Schreck gemacht, das hast du. Versprich mir, dass du immer deinen Sicherheitsgurt anlegst, auch wenn du in einem anderen Auto sitzt. Versprich es mir …«
Sie beugte sich vor, die Knöchel weiß an der Sesselkante, die Lippen nass von Tränen oder Speichel.
»Ich verspreche es«, sagte Daniel leise. »Ich geh jetzt schlafen.«
»In Ordnung, Schatz, gute Nacht.« Sie wischte sich einmal, zweimal übers Gesicht und dann noch einmal mit ihrem rechten Ärmel. »Vergiss nicht, das Geld in dein Sparschwein zu stecken. Nicht in die Schule mitnehmen und Quatsch dafür kaufen. Komm her …«
Sie streckte eine Hand nach ihm aus, und Daniel ging langsam auf sie zu. Sie nahm sein Handgelenk und zog ihn sacht an sich heran, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. Er lag eine Sekunde länger als nötig auf ihr und fühlte raue Wolle an seiner rechten Wange und nasse Wolle an seiner linken.
15
Es war nach neun, und Daniel aß in seiner Wohnung ein mitgebrachtes Thai-Curry. Er hatte noch zu arbeiten, und so setzte er sich mit aufgeklapptem Laptop an den Küchentisch, trank Bier und versuchte, keine Soße auf die Tasten zu kleckern. Das Radio lief leise. Am nächsten Morgen musste er wegen eines Falles von Ladendiebstahl zum Gericht. Seiner Mandantin, einer Mutter von vier Kindern, hatte Daniel gesagt, er hoffe, dass sie keine Freiheitsstrafe bekäme. Jetzt ging er die Fakten noch einmal durch und machte sich zu Einzelheiten Notizen.
Sebastian schien mehr als nötig von seiner Zeit in Anspruch zu nehmen. Daniel bereitete sich immer sorgfältig auf seine Fälle vor und nahm sich jetzt die Zeit, die Notizen für den folgenden Tag durchzuarbeiten, aber Sebastians Fall unterbrach ihn immer wieder in seinen Gedanken.
Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die Akten, aber sein Geist wanderte ständig zu der Leerstelle in seinem Inneren. Seit er als Jugendlicher Minnie verlassen hatte, war er es gewöhnt, allein zu sein. Auf der Universität und danach war er als Einzelgänger bekannt gewesen, als Herzensbrecher, weder Männerheld noch Frauenheld. Als sein eigener Herr. Als einsamer Mensch. Der seine Meinung für sich behielt.
Daniel fiel ein, wie Minnies Schwester Harriet sich auf ihre Zehenspitzen gestellt hatte. Du solltest dich vor dir selber schämen, mein Junge , und dann der Anblick von ihr, wie sie sich den Weg über den lauten Kies des Vorhofs der Leichenhalle mit ihrem Stock freigestochen hatte.
Harriet.
Daniel erinnerte sich daran, dass sie zu Besuch gekommen war, und an die angespannte Fahrt nach Carlisle, um sie abzuholen: Minnies Fingerknöchel während der Fahrt weiß am Steuerrad und das Röhren des Renaults, als sie im dritten Gang über die Autobahn raste.
Harriet war Minnies jüngere Schwester, auch sie Krankenschwester, auch sie urkomisch und dem Trinken nicht abge neigt. Daniel erinnerte sich an den Geschmack ihrer süßen Ginger-Ale-Küsse, wenn sie zu Besuch kam, einmal im Jahr oder alle zwei Jahre, und handgestrickte Pullover und Gläser voll Bonbons mitbrachte.
Er aß sein Curry auf und schob den Teller beiseite. Während er sich den Mund wischte, ging er im Wohnzimmer auf die Suche nach Minnies Karton und holte das
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