Der Schutzengel
Telefon.« Dann fuhr sie widerstrebend davon.
Laura war erleichtert, als der Wagen im Verkehrsgewühl verschwand. Jetzt war Thelma aus dem Spiel, jetzt konnte ihr nichts mehr passieren. Sie gab die Zimmerschlüssel an der Rezeption ab und fuhr mit dem Buick davon – mit Chris auf dem Beifahrersitz und Stefan hinten beim Gepäck. Sie verließ »The Bluebird of Happiness« nur ungern, denn hier waren sie vier Tage lang sicher gewesen, während es sonst auf der Welt vielleicht niemals mehr einen sicheren Ort für sie geben würde.
Als erstes hielten sie vor einem Waffengeschäft. Da Laura möglichst wenig gesehen werden sollte, ging Stefan hinein, um eine Schachtel Munition für die Pistole zu kaufen. Diese Munition hatte nicht auf Thelmas Einkaufsliste gestanden, weil sie nicht gewußt hatten, ob sie die 9-mm-Parabellum bekommen würden, die Stefan haben wollte. Tatsächlich hatten sie statt dieser die Colt Commander Mark IV Kaliber 38 nehmen müssen.
Danach fuhren sie zu »Fat Jacks Pizza Party Palace« weiter, um zwei Behälter mit tödlichem Nervengas abzuholen. Stefan und Chris warteten draußen im Wagen unter den schon in der Abenddämmerung brennenden Neonreklamen, die ihre ganze Leuchtkraft jedoch erst nach Einbruch der Dunkelheit entfalten würden.
Die Kanister standen auf Fat Jacks Schreibtisch bereit. Sie hatten die Größe kleiner Haushaltsfeuerlöscher, waren nicht feuerrot lackiert, sondern aus rostfreiem Stahl hergestellt und trugen einen Aufkleber mit Totenschädel und gekreuzten Knochen und dem Text VEXXON/AEROSOL/WARNUNG – TÖDLICHES NERVENGAS/UNBEFUGTER BESITZ NACH U.S.-GESETZEN STRAFBAR, dem noch ein Dutzend Zeilen Kleingedrucktes folgten.
Fat Jack deutete mit seinem dicken Wurstfinger auf die in die Behälteroberseiten eingelassenen halbdollargroßen Anzeigen. »Das hier sind Zeitschalter, die sich von einer bis sechzig Minuten einstellen lassen. Stellt man sie ein und drückt auf den Knopf in der Mitte, kann man das Gas mit Verzögerung ablassen – gewissermaßen wie ‘ne Zeitbombe. Wollen Sie’s jedoch manuell ablassen, nehmen Sie den Boden des Kanisters in eine Hand, diesen Pistolengriff in die andere und drücken einfach ab, als hätten Sie ‘ne Waffe in der Hand. Dieser Scheiß steht unter Druck und verteilt sich in eineinhalb Minuten in einem Gebäude von fünfhundert Quadratmeter Bodenfläche – und noch schneller, wenn Heizung oder Klimaanlage in Betrieb sind. Unter Einwirkung von Luft und Sonne zerfällt das Gas in ungiftige Verbindungen, bleibt aber trotzdem vierzig bis sechzig Minuten lang tödlich. Drei Milligramm auf der Haut genügen, um binnen dreißig Sekunden zu töten.«
»Das Gegengift?« fragte Laura.
Fat Jack tippte grinsend auf die versiegelten blauen Plastikbeutel, die an den Behältergriffen hingen. »Jeder Beutel enthält zehn Kapseln. Zwei davon genügen als Schutz für einen Menschen. Die Gebrauchsanweisung liegt bei. Soviel ich gehört habe, muß man das Mittel mindestens eine Stunde vor der Freisetzung des Gases schlucken. Dann schützen die Kapseln drei bis fünf Stunden lang.«
Er strich ihr Geld ein und legte die Vexxon-Kanister in einenKarton mit dem Aufdruck MOZZARELLA-KÄSE – KÜHL LAGERN. Während er den Deckel aufsetzte, lachte er vor sich hin und schüttelte den Kopf.
»Was ist los?« fragte Laura mißtrauisch.
»Ich find’s nur amüsant«, antwortete Fat Jack. »Eine bildhübsche Frau wie Sie, offensichtlich gebildet, mit einem kleinen Jungen … Wenn jemand wie Sie in solchen Scheiß verwickelt ist, geht’s mit unserer Gesellschaft weit schneller zu Ende, als ich je zu hoffen gewagt hätte. Vielleicht erlebe ich den Tag noch, an dem das Establishment stürzt, die Anarchie herrscht und die einzigen Gesetze die sind, die einzelne untereinander vereinbaren und mit Handschlag besiegeln.«
Dann schien ihm noch etwas einzufallen. Er hob den Deckel hoch, nahm einige grüne Zettel aus einer Schreibtischschublade und ließ sie auf die Vexxon-Behälter fallen.
»Was sind das für Zettel?« wollte Laura wissen.
»Sie sind eine gute Kundin«, sagte Fat Jack, »deshalb kriegen Sie ein paar Gutscheine für eine Gratispizza als Draufgabe.«
Jasons und Thelmas Haus in Palm Springs lag tatsächlich sehr abseits. Es war eine merkwürdige, aber sehr attraktive Mischung aus spanischer und südwestlicher Lehmsteinarchitektur auf 4000 Quadratmeter Grund, der von einer gut zweieinhalb Meter hohen pfirsichfarben verputzten Mauer umgeben war, die lediglich
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