Der Schutzengel
einen Durchlaß für die kreisförmige Zufahrt hatte. Das dicht mit Feigen, Palmen und Oliven bewachsene parkartige Grundstück war auf drei Seiten zu den Nachbarn hin völlig abgeschirmt, und von der Straße aus war nur die Fassade des Hauses zu sehen.
Obwohl sie an diesem Samstagabend erst gegen 20 Uhr kamen, nachdem sie von Fat Jacks Pizzeria in Anaheim aus in die Wüste gefahren waren, waren Haus und Grundstück in allen Einzelheiten sichtbar, weil sie von geschickt eingebauten, über Photozellen gesteuerten Außenleuchten angestrahlt wurden, diefür Ästhetik und Sicherheit zugleich sorgten. Farne und Palmwedel warfen aufregende Schatten auf verputzte Mauern.
Thelma hatte ihnen die Fernsteuerung für das Garagentor mitgegeben, deshalb fuhren sie den Buick in die Dreifachgarage und betraten das Haus durch die Verbindungstür zum Wirtschaftsraum – nachdem Laura die Alarmanlage mit dem Code, den Thelma ihr aufgeschrieben hatte, abgeschaltet hatte.
Das Haus war viel kleiner als der Palast des Ehepaars Gaines in Beverly Hills, aber mit zehn Zimmern und vier Bädern noch immer eine Luxusvilla. Die unverwechselbare Handschrift von Steve Chase, dem bekanntesten Innenarchitekten von Palm Springs, zeigte sich überall: exklusiv beleuchtete exklusive Räume; schlichte Farben – warme Aprikosentöne, mattes Lachsrot –, die hier und dort von Türkis unterstrichen wurden; wildlederbespannte Wände, Decken aus Zedernholz; hier Kupfertische mit reicher Patina, dort Granittische, die in interessantem Gegensatz zu luxuriösen Polstermöbeln mit allen nur denkbaren Bezugstoffen standen; elegant, aber sehr wohnlich.
In der Küche mußte Laura feststellen, daß die Speisekammer bis auf ein Regal mit Konservendosen leer war. Da sie alle zu müde waren, um noch zum Einkaufen zu fahren, begnügten sie sich an diesem Abend mit dem, was da war. Selbst wenn Laura hier mit Gewalt eingedrungen wäre, ohne zu wissen, wem diese Villa gehörte, hätte sie nach einem Blick in die Speisekammer auf Jason und Thelma getippt, denn sie konnte sich kein zweites Millionärspaar vorstellen, das im Herzen kindlich genug geblieben wäre, um Ravioli- und Spaghettibüchsen der Marke Chief Boyardee in seiner Speisekammer zu haben. Chris war natürlich begeistert. Als Nachtisch gab es zwei Schachteln mit Eiscreme-Nuggetts, die sie im ansonsten leeren Kühlschrank entdeckt hatten.
Laura und Chris teilten sich das übergroße französische Bett im Elternschlafzimmer, und Stefan bezog eines der gegenüberliegenden Gästezimmer. Obwohl Laura die Alarmanlage, die alle Türen und Fenster überwachte, wieder eingeschaltet, eine geladene Uzi auf dem Teppich neben ihrem Bett und einen geladenen Revolver auf dem Nachttisch liegen hatte und obwohl auf der ganzen Welt nur Thelma wissen konnte, daß sie hier waren, schlief Laura unruhig. Sie schrak bei jedem Aufwachen hoch, saß dann im Bett und horchte ins Dunkel hinein – auf verstohlene Schritte, flüsternde Stimmen.
Als Laura gegen Morgen nicht wieder einschlafen konnte, starrte sie lange die nur schemenhaft erkennbare Zimmerdecke an und dachte über etwas nach, das Stefan vor ein paar Tagen über einige der komplizierteren Aspekte von Zeitreisen und die Möglichkeiten der Zeitreisenden, ihre eigene Zukunft zu verändern, gesagt hatte: Das Schicksal bemüht sich, ursprünglich vorgesehene Entwicklungslinien durchzusetzen. Nachdem Stefan sie 1963 im Lebensmittelgeschäft ihres Vaters vor dem Junkie gerettet hatte, hatte das Schicksal 1967 mit Willy Sheener einen weiteren Pädophilen gegen sie aufgeboten. Sie hatte als Vollwaise aufwachsen sollen, deshalb hatte das Schicksal es verstanden, nach ihrer Aufnahme bei den Dockweilers dafür zu sorgen, daß Nina Dockweiler einem Herzschlag erlag, woraufhin Laura ins Waisenhaus zurück mußte.
Das Schicksal bemüht sich, ursprünglich vorgesehene Entwicklungslinien durchzusetzen.
Welche als nächste?
In der ursprünglich vorgesehenen Entwicklungslinie wäre Chris niemals geboren worden. Würde das Schicksal daher dafür sorgen, daß er bald den Tod fand, um die von Stefan Krieger veränderte Entwicklungslinie nachträglich doch noch durchzusetzen? Und bevor Stefan damals Dr. Paul Markwell mit der Waffe bedroht und daran gehindert hatte, als ihr Geburtshelfer zu fungieren, war ihr ein Leben im Rollstuhl bestimmt gewesen. Vielleicht würde das Schicksal zur Durchsetzung der ursprünglichen Entwicklungslinie jetzt dafür sorgen, daß sie von Gestapoleuten
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