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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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dort drüben, in dieser unbedeutenden Stadt, brannte kaum ein Licht. Die Bewohner mochten träumen – sie mochten träumen, dass die Wilde Jagd über sie hinwegbrauste, dass die Geschöpfe der Finsternis über sie hinwegjagten, dass sie selbst mit ihnen davonjagten.
     
    Träumen. Traum. Ein Traum …
     
    Aus den Höhlen halbvergessener Erinnerungen stieg ein Dunst auf, in dem Martin etwas las. Er las seine Erinnerungen an die vielen Berichte des heiligmäßigen Paters Hilarius, denen zufolge viele der Hexen, die sich auf der Ausfahrt zum Sabbat wähnten, in Wirklichkeit sicher in ihren Betten lagen und ihr schändliches Treiben bloß träumten. Ihre Ehemänner hatten oftmals ausgesagt, dass in jener Nacht, in der der Hexensabbat stattgefunden hatte, ihre Frauen neben ihnen in der Kammer gelegen hatten – die ganze Nacht über.
     
    Alles nur ein Traum?
     
    Auch der Wind, der seine eisigen Krallen in Martins Gesicht und Hände schlug? Auch dieser Anblick der schweigenden Nachtwelt unter ihm, der so wirklich und gleichzeitig so unwirklich anmutete? Martin wagte es nicht, das Hanfseil loszulassen und sich in den Arm oder die Wange zu kneifen.
     
    Schließlich senkte sich der flatternde Mantel vor ihm jäh. Und auch Martins Bock und der von Maria sausten nun beinahe senkrecht nach unten. Dem jungen Mönch wurde der Atem aus den Lungen getrieben. Rote Spiralen tanzten vor seinen Augen. Kein Traum. Das war unmöglich ein Traum. Der Aufprall! Wollte die Dämonin sie auf diese Weise loswerden? Zu Brei zerschmettert, völlig unkenntlich für jedermann, namenlose Tote, zerschellt an den harten Felsen der Welt?
     
    Dann bremste der Bock ab. Sanft glitt er über die Spitzen der Bäume hinweg, bis er endlich hinter seinen beiden Gefährten auf einer Lichtung niederging, die auf einer Bergkuppe lag wie die Tonsur auf dem Kopf eines Mönchs.
     
    Noch bevor sie gelandet waren, hatte Martin bemerkt, dass die Lichtung nicht völlig verödet war. Schwarze Schemen huschten auf ihr hin und her, und nun zuckte das erste Licht auf. Vielleicht kam es von einer Fackel.
     
    Aber es war blau.
     
    Dann setzten die drei Böcke am Rande der Lichtung auf. Der Succubus sprang leichtfüßig vom Rücken seines Reittieres und schlang den langen Mantel mit einer anmutigen Geste um sich. Auch Maria kletterte vorsichtig von ihrem Ziegenbock herunter. Sie taumelte, dann fiel sie in das Gras. Das Mondlicht saugte ihr den letzten Tropfen Blut aus dem Gesicht. Martin sprang ab und wollte zu ihr laufen, doch auch er torkelte, als sei er den Gang auf festem Boden nicht mehr gewöhnt. Er konnte sich jedoch aufrecht halten und gelangte keuchend zu der Stelle, wo Maria zusammengebrochen war. Er kniete sich neben sie und nahm sie in den Arm. Sie zitterte schrecklich. Er strich ihr mit der Hand über das weiche, lockige Haar und murmelte: »Es ist alles gut. Ich bin ja bei dir.« Und kam sich bei diesen Worten unsagbar lächerlich vor.
     
    Er half Maria auf die Beine. Noch immer hielt er sie umschlungen, und sie erwiderte seine Umarmung heftigst. Es war, als wolle sie ihn nie wieder loslassen.
     
    Martin drehte den Kopf ein wenig. Er hatte vorhin richtig gesehen. Es waren Menschen. Menschen? Menschliche Umrisse. Und nun brannten weitere Fackeln. Blau. Sie waren in den Boden gerammt. Er sah in Gesichter, die von den blauen Flammen schrecklich verzerrt waren. Gesichter, die ihn und Maria ausdruckslos anstarrten. Aber niemand näherte sich ihnen. Der Succubus hatte sich unter sie gemischt. Die Gesichter waren so unerträglich starr!
     
    Dann erhob sich ein Sausen und Brausen in der Luft. Weitere Teufelsanbeter trafen ein. Martin konnte nicht erkennen, worauf sie geritten waren, aber es waren keine Ziegen. Es war etwas, dessen Umrisse schlimmer als jeder Albtraum waren. Sofort verschwanden diese Dinge wieder in der Finsternis.
     
    Nun stand ein großer, hölzerner Thron genau in der Mitte der Lichtung. Er war zu groß für einen Menschen und besaß eine Form, die nicht für die Aufnahme eines menschlichen Körpers geeignet war. Noch war er leer.
     
    Noch immer trafen neue Teilnehmer ein. Und dann – unter einem Rauschen, das mächtiger als alles war, was Martin bisher gehört hatte – näherte sich ein Mann, den Martin nur allzu gut kannte.
     
    Es war Graf Albert von Heilingen.
     
    Und in seiner Begleitung befand sich das Wesen, für das offenbar der Thron errichtet worden war.
     
        
     

25. Kapitel
     
    Das Wesen nahm auf dem Thron Platz.

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