Der schwarze Atem Gottes
er die ersten Zeilen des Vaterunser zustande. Aber dieser stumme Gebetsfetzen bewirkte nichts.
Die Schlange – schwarz und feucht glitzernd – erschnüffelte sich ihren Weg zu der weißen Haut des Mädchens. Sie schmiegte sich an ihren Oberarm und glitt hoch zur Schulter. Dann biss sie zu. Das Mädchen schrie auf. Und gleichzeitig brüllte die ganze Versammlung in dröhnendem Jubel. Man klatschte, johlte, grölte – und das alles unter diesen reglosen Masken, in denen sich das Weiß des Mondes und das Blau der unirdischen Fackeln mischte. Das Mädchen brach zusammen und fiel schwer ins Gras. Der Graf kniete sich neben sie und nahm sie erstaunlich sachte in den Arm. Er küsste sie auf die Wange; es war ein brüderlicher Kuss. Dann sagte er: »Du gehörst jetzt zu uns. Du bist eine von uns. Du bist unser Fleisch und Blut. Das wollen wir feiern. Komm.« Er half ihr auf und geleitete sie um den Thron herum. Die Gemeinde zog mit ihm. Der Succubus trat an Martin und Maria heran, die noch immer in ihrer endlosen Umarmung gefangen waren, und löste sie voneinander. »Folgt uns«, sagte die Frau und schloss sich den Gläubigen an.
Hinter dem Thron befand sich eine lange Tafel, die sich erst in dem Augenblick gebildet zu haben schien, als der Graf mit dem Mädchen an die Rückseite des Thrones gegangen war. Martin sah, wie Maria willenlos hinter der Frau herlief. Sie erhielt einen Platz an der Tafel, der nahe an dem Thron lag. Sehr nahe. Martin wurde Maria gegenüber platziert. Er sah sie an, aber sie schien ihn nicht einmal zu erkennen. Sie blickte starr auf die Tafel vor ihr, die sich unter der Last der Speisen bog. Es gab Spanferkel, ja ein ganzes Kalb, unzählige Früchte, Geflügel und Wein. Martin bemerkte, dass er nun den Kopf wieder drehen konnte. Er schaute hinüber zur Rückseite des Thrones.
Beschienen vom Mond und den blauen Fackeln, saß das Ungeheuer reglos wie eine Statue da und drehte ihnen noch immer den Rücken zu. Die Versammelten hockten genauso reglos auf ihren Stühlen; niemand wagte sich zu bewegen. Dann stellte sich der Graf an das Fußende der Tafel und rief: »Der Tag ist nahe, an dem der Abgesandte unseres Herrn und Meisters auf die Erde kommen und die Herrschaft an sich reißen wird. Wir wollen unserer Vorfreude auf dieses Ereignis Ausdruck verliehen, indem wir diese würdige Feier begehen. Der Herr ist in seinem fleischgewordenen Gedanken mitten unter uns. Trinken wir auf ihn!« Er erhob seinen Becher und schwenkte ihn in die Richtung des reglosen Monstrums. Die Versammelten taten es ihm gleich. Auch Martin und Maria hoben ihre gefüllten Becher; Martin versuchte, ihn wieder abzustellen, aber es war, als würden seine Bewegungen von einem anderen Willen als seinem eigenen geleitet.
Alle tranken. Der Wein schmeckte sauer, doch es gelang Martin nicht einmal, das Gesicht zu verziehen. Es war, als stecke er mitten in einem schrecklichen Albtraum. Traum … War das alles hier bloß ein Traum? Das würde vieles erklären. Hatte die Hexensalbe sie in diesen Traum versenkt, und befanden sie sich in Wirklichkeit noch in dem engen, stinkenden Kellerloch – oder war ihr Aufenthalt dort ebenfalls nur ein Traum?
Seine willenlosen Bewegungen nötigten ihn zum Essen. Der Braten, das Geflügel, das Obst – all das schmeckte nach nichts. Es war, als esse er Wind.
»Nun, meine Lieben, habt ihr genug Freude gehabt. Bleibt hier sitzen, während wir uns vergnügen«, sagte eine weibliche Stimme neben Martin. Er schaffte es, den Kopf wieder ein wenig zur Seite zu drehen, und sah, dass es der Succubus gewesen war, der zu ihm gesprochen hatte. Er saß neben dem jungen Mönch. »Zum Höhepunkt unserer Feier wird aus euch das Opfer bereitet. Freut euch, dass ihr auserwählt seid. Doch zuerst wollen wir tanzen!« Die wunderschöne Frau sprang auf; die anderen erhoben sich ebenfalls, und von irgendwoher drangen klagende Klänge durch die Nacht und legten sich über die Versammelten. Man stellte sich in einem großen Kreis auf, mit dem Rücken zu dessen Mitte gewandt, und hakte sich mit den Armen unter. Dann setzte ein wilder Rundtanz ein, über den sich netzartig die jammernde Musik legte, die fast wie die eines Dudelsacks klang. Beinahe schien es so, als habe die Musik ihren Ursprung in dem schrecklichen Ungetüm, das noch immer von den Tanzenden abgewandt saß.
Es war ein wilder Reigen; all die starren Masken flogen unter Martins Blicken vorbei; auf manchen, die poliert waren,
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