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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Klostertor. Er war dankbar dafür, dass sein Zwilling im Augenblick zu schlafen schien. Manchmal schossen Fetzen eines verrückten, fernen Traumes durch seine Gedanken, doch sie berührten ihn nicht mehr. Überhaupt schien der Zwilling viel zu schlafen – zum Glück. Hilarius betastete verstohlen seinen dicken Bauch. Die Ungläubigen hatten ihn – der ein Ungläubiger war, ohne es gewusst zu haben – für seine Aufgabe vorbereitet. Für welche Aufgabe? Es war alles einfach zu unglaublich.
     
    Mit einem Seufzen zog er an der Klingelschnur. Er wollte so schnell wie möglich hinter die schützenden Mauern des Benediktinerklosters schlüpfen.
     
    Es öffnete sich eine kleine Klappe in der schweren, zweiflügeligen Tür, und ein gerötetes, aufgedunsenes Gesicht zeigte sich in der Vierung. »Wer begehrt Einlass?«
     
    »Ein Ordensbruder«, sagte Hilarius mit fester Stimme, obwohl es ihm jetzt wie eine Lüge vorkam.
     
    »Wer bist du?« Der Bruder Pförtner klang reichlich gleichgültig; er schaute Hilarius nicht einmal an.
     
    »Pater Hilarius aus Eberberg.«
     
    »Der Hexenschnüffler?« Nun richteten sich die Augen hinter der Tür auf den Pater. In ihnen lag der Unglaube wie schwerer Schlamm. »Das kann nicht sein.«
     
    »Warum nicht?«, fragte Hilarius verwirrt.
     
    »Der Pater Hilarius von Eberberg ist tot.«
     
    Das traf ihn wie ein Keulenschlag. »Wie kommst du darauf?«
     
    »Du solltest dir eine bessere Lüge einfallen lassen. Weißt du denn nicht, dass das Kloster Eberberg vor einiger Zeit von den Heerscharen des Bösen heimgesucht und in Schutt und Asche gelegt worden ist?«
     
    Ein weiterer Keulenschlag. Zuerst konnte Hilarius überhaupt nichts darauf sagen, doch schließlich stotterte er: »Das kann … das kann doch nicht … aber ich bin … ich bin wirklich Hilarius, der Hexenschnüffler! Ich hatte eine Mission in Volkach durchzuführen. Es muss passiert sein, als ich fort war.«
     
    Der Bruder Pförtner schien unsicher zu werden. Schließlich stellte er Hilarius einige Fragen über innere Angelegenheiten des Klosters Eberberg, die dieser zufriedenstellend beantworten konnte. Endlich besann sich der Pförtner und öffnete das Tor. »Nichts für ungut«, sagte er, während er Hilarius quer über den Hof zum Konventsgebäude führte. »Aber in letzter Zeit geschehen hier so viele merkwürdige Dinge. Ich sage zu unserem Abt Ansgar immer wieder, dass wir aus der Judenstadt fortziehen sollen, aber er hört natürlich nicht auf mich.« Der Pförtner kratzte sich an seiner großen Tonsur, die von fortgeschrittenem Haarausfall kündete.
     
    Hilarius hörte ihm kaum zu. Seine Gedanken überschlugen sich. Eberberg zerstört! Wie hatte das geschehen können? Gab es weitere Überlebende außer ihm und Martin? Martin … Wo mochte er nun sein? Hing das alles mit seiner bizarren Mission zusammen?
     
    Der Pförtner geleitete Hilarius in das Konventsgebäude. Sie durchschritten einen langen, hallenden Korridor, an dessen Ende eine mit reichem Schnitzwerk verzierte Tür in das geräumige Parlatorium führte. Die Decke war hoch, und ihr Gewölbe wurde von einem dicken, kannelierten Mittelpfeiler getragen, der beinahe unter seiner Aufgabe zusammenzubrechen schien.
     
    An den Wänden hingen Gemälde von herausragenden Persönlichkeiten des Benediktinerordens, denen allen eine unglaublich bleiche Gesichtsfarbe zu eigen war: Benedictus selbst, weiterhin Papst Gregor der Große, der auch Benediktinermönch gewesen war, Willibrord, Bonifatius und auch Suitbertus. Sein abscheulich schlecht gemaltes Bild erinnerte Hilarius an seinen etwas unbesonnenen, aber treuen Gehilfen, der in der Herberge sein Leben hatte lassen müssen. Was für eine Welt des Irrsinns!
     
    »Ich werde Abt Ansgar holen«, unterbrach der Bruder Pförtner seine verworrenen Gedanken. »Vor der Sext ist ja noch ein wenig Zeit. Ich hoffe, du wirst uns die Ehre geben, mit uns zu beten und zu essen?«
     
    Hilarius nickte, und der Mönch zog sich durch eine kleine, unscheinbare Tür zurück. Nun stand der alte Pater allein und verlassen in dem großen, kalt wirkenden Parlatorium, in dem einige Tische und unbequem aussehende Stühle die einzige Möblierung bildeten. Die hohen, klarverglasten Spitzbogenfenster blickten auf eine nicht minder hohe Backsteinmauer hinaus, die an vielen Stellen mit altem Efeu überwachsen war. Und dahinter – die Prager Judenstadt. Das Benediktinerkloster zum Heiligen Kreuz bildete eine seltsame Enklave am Rande dieses

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