Der schwarze Atem Gottes
Schmerzen schossen wie Feuerpfeile durch seinen dünnen Körper. Doch schließlich stand er aufrecht und bemerkte mit großer Dankbarkeit, dass er zwar viele Prellungen und Quetschungen davongetragen hatte, aber offenbar keine Knochenbrüche. Vorsichtig ging er einige Schritte auf das brennende Gasthaus zu.
Es war seine Schuld, dass Pater Hilarius entführt worden war. Wenn Martin nicht fortgeschlichen wäre und durch das Schlüsselloch gespäht hätte, wäre es den Banditen nicht so einfach gewesen, den heiligmäßigen Mönch zu entführen. Hilarius würde ihm gegenüber eine schreckliche Wut hegen. Ein Grund mehr, ihm zu helfen, auch wenn er entsetzliche Angst vor dem Zorn des Paters hatte.
Martin stolperte um das Gebäude herum, in dem die Flammen tobten. Vorn, in der offen stehenden Eingangstür, lag jemand. Es war unmöglich zu sagen, wer es war: ein Gast, der Wirt, einer der Mordbuben oder vielleicht sogar das wunderschöne Mädchen. Der Körper war schwarz verbrannt; ein Arm war wie in einem vergeblichen Versuch ausgestreckt, nach etwas Rettendem zu greifen; der Arm war nicht mehr als ein schwarzer, verkohlter Stock. Entsetzt wich Martin einige Schritte zurück. Ein heißer Hauch traf ihn; es war wie der Atem der Hölle. Martin entfernte sich noch weiter von dem brennenden Haus, das die Nacht in einen roten und gelben Schleier hüllte.
Niemand war auf der staubigen Landstraße zu sehen – zumindest nicht, so weit das Licht des knisternden und krachenden Feuers reichte. Dahinter schien die Welt an allen Seiten zu Ende zu sein. Die Welt … zu Ende … genau wie dieser Zauberer es gesagt hatte, dessen Folter und Tod Martin so zugesetzt hatten.
Das Ende der Welt steht bevor …
Wenn er sich dieses Flammenwüten ansah, mochte er es gern glauben. Der Weltenbrand …
Auf dem Boden sah er viele Hufspuren; sie führten in die Richtung, in der das Kloster Eberberg lag. Ob sie von den Pferden der Entführer stammten? Martin ging ihnen nach, ging fort von den Flammen, die nun hinter seinem Rücken zischelten und fauchten. Wenn man lange genug in die Flammen schaute, konnte man die Dämonen darin erkennen; das hatte er oft gehört. Immer wieder sah er sich um, doch nichts verfolgte ihn – kein Mensch und kein Dämon.
Als Bruder Martin etwa zehn Minuten lang gegangen und das brennende Wirtshaus bereits hinter einer Wegbiegung verschwunden war und nur noch der Widerschein der Flammen hinter den schwarzen Bäumen hervorloderte und einen zuckenden, schwachen Schein auf den Weg warf, bogen die zahlreichen Hufspuren plötzlich nach links ab – mitten in den Wald hinein, der hier bereits an beiden Seiten nah an den breiten, staubigen Weg herangeschlichen war. Martin blieb stehen und versuchte, in den dichten Wald hineinzuspähen.
Es war kaum etwas zu sehen. Schon wenige Ellen jenseits des Weges verschwammen die großen Buchen und Tannen zu einer einförmigen schwarzen Masse, die schier undurchdringlich erschien. Sollten die Entführer tatsächlich an dieser Stelle in den finsteren Wald hineingeritten sein? Martin würde sich dort drinnen heillos verirren, von den zahlreichen natürlichen und übernatürlichen Gefahren eines derartigen Ortes ganz zu schweigen. Sollte er nicht besser zum Kloster zurückkehren und von dort Hilfe holen? Es lag noch etwa einen Tagesritt entfernt. Einen Tagesritt … aber er hatte kein Pferd. Zu Fuß würde es mindestens zwei Tage dauern, vielleicht sogar drei, bis er die rettenden Klostermauern erreicht hatte. Wäre es dann nicht bereits viel zu spät, um Pater Hilarius zu helfen? Vielleicht war Hilarius dann schon längst tot.
Was wollten diese Verbrecher überhaupt von einem mittellosen Mönch? Er konnte ihnen kein Geld geben, keine Edelsteine, nur seinen Gaul. Ob sie mit ihm vielleicht Lösegeld erpressen wollten? Aber würde das Kloster tatsächlich für ihn bezahlen? Martin bezweifelte es; Abt Odilo liebte es nicht, etwas weggeben zu müssen; er würde lieber auf einen Mitbruder als auf die Reichtümer des Klosters verzichten, auch wenn es sich um einen im Ruche der Heiligkeit Stehenden handelte. Wahrscheinlich wäre er der Meinung, dass Pater Hilarius sich vermittelst seiner Heiligmäßigkeit selbst befreien konnte. Wenn nicht, hätte das Kloster sogar einen Märtyrer. Martin konnte sich lebhaft vorstellen, wie der Abt sagen würde: »Gott hat es so gewollt, meine lieben Mitbrüder, und wir sollten ihm für seine unendliche Weisheit dankbar sein. Wenn er
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