Der schwarze Atem Gottes
gewollt hätte, dass wir unseren Klosterschatz für Pater Hilarius eintauschen, so hätte er uns in seiner unendlichen Milde ein Zeichen gegeben; leider aber ist mir keines zugegangen.«
Martin spürte, wie sein Groll gegen den Abt, den er noch nie hatte leiden können, immer stärker wurde. War es wirklich sinnvoll, zum Kloster zurückzugehen? Pater Hilarius wurde zwar von vielen verehrt, doch seine asketische Strenge und sein gewaltiger Ruf war etlichen seiner Mitbrüder ein Dorn im Auge. Würden sie ihm überhaupt helfen wollen?
Bruder Martin fühlte sich, als zerrten ihn Engel und Dämonen in verschiedene Richtungen. Waren es die Dämonen, die ihn in die Sicherheit seines Klosters scheuchen wollten, oder waren es die Engel? Er horchte in sich hinein und wusste es nicht.
Über ihm stand nun das Beulengesicht des Mondes, der sein silbriges Licht hinunter auf die Landstraße warf. Sterne waren an den höchsten Spitzen der Tannen und Buchen aufgespießt. Die Unendlichkeit des Himmels dazwischen war samtblau, wie ein Versprechen von Gottesnähe. Der Weg lag fahl vor ihm – der Weg zum Kloster, fort von der Finsternis und dem unheimlichen Wald. Martin machte einen zögernden Schritt, dann noch einen – die Straße hinunter, auf seine Heimat zu. Je mehr Schritte er machte, desto schneller ging er. Jetzt, da er sich entschieden hatte, ging es ihm besser. Was konnte er als Einzelner, als schmächtiger Mönch schon gegen eine Räuberbande ausrichten? Er würde sein Leben nur sinnlos wegwerfen, und nichts wäre dabei gewonnen.
Aber tief in seinem Inneren hörte er die giftige, mahnende Stimme des Paters Hilarius.
Martin nahm sich fest vor, bei seinem Abt um die Errettung des Paters zu bitten und alles in seiner Macht Stehende zu tun, damit Hilarius aus den Klauen der Verbrecher befreit wurde. Immer schneller, immer befreiter schritt er aus. Er freute sich bereits auf ein warmes Essen, auf ein anheimelndes Feuer, auf seine Mitbrüder, auf die Ruhe seines Klosters.
Da sah er in einiger Entfernung vor sich auf der Landstraße einen seltsamen Schemen. Verwirrt hielt er inne. Der Schemen blieb ebenfalls stehen. War es ein Wanderer? Jetzt, mitten in der Nacht? Kaum möglich. Martin glaubte, klagende Laute zu hören; sie kamen von dem schwarzen Umriss, der sich nun recht rasch auf den Mönch zubewegte.
Martin zauderte. Sollte er an diesem Umriss vorbeigehen? Würde er unbehelligt bleiben? Was war das für eine Gestalt? Der Mönch warf einen schnellen Blick über die Schulter. Der Rückweg war frei. Er drehte sich um und lief los. Weit hinten konnte er den rötlichgelben Widerschein der Flammen erkennen.
Und vor ihm malte sich nun ein zweiter Umriss mitten auf der Straße ab, der aus dem Nichts gekommen zu sein schien oder aus dem finsteren Wald zuseiten des Weges. Der Rückweg war dem Mönch abgeschnitten.
Fieberhaft sah sich Martin um. Er befand sich jetzt etwa an der Stelle, wo die Entführer die Landstraße verlassen hatten und in den Wald geprescht waren. Sollte er wirklich …? Die Schemen kamen näher. Immer deutlicher war das seltsame, klagende Geräusch zu hören – wie das Gejammer der Seelen im Fegefeuer.
Martin hastete in den Wald hinein. Schon nach wenigen Schritten hatte ihn die Finsternis eingehüllt. Zweige peitschten ihm ins Gesicht; raue Blätter und Nadeln stachen ihm in Hände und Beine. Er spürte es kaum. Immer wieder schaute er hinter sich. Aber niemand schien ihm zu folgen. Dann blieb er stehen und hielt den Atem an.
Aus der Ferne drang noch immer das leise Zischen der Flammen, doch da, wo er stand, war es vollkommen still. Auch die jammerhaften Laute waren verstummt. Und von den Schemen war nichts mehr zu sehen. Warteten sie auf der Landstraße? Unter keinen Umständen durfte Martin dorthin zurückkehren – zumindest nicht, solange es dunkel war. Am Morgen würde die Macht der höllischen Heerscharen nachlassen, doch bis dahin musste Martin ausharren. Wie sehr sehnte er sich nach dem hellen Schein der Sonne, nach dem klaren Blau des Himmels und dem Gesang der Vögel! Es war ihm, als trennten ihn davon die bodenlosen Schächte der Hölle.
Er schlich tiefer in den Wald hinein, denn er befürchtete plötzlich, von der Straße aus noch sichtbar zu sein. Erst als er weder den Schein des Feuers noch die im Mondlicht badende Landstraße mehr sehen konnte, blieb er stehen.
Die Stille traf ihn wie ein Hammerschlag.
Nichts raschelte, nichts
Weitere Kostenlose Bücher