Der schwarze Atem Gottes
regte sich; es war, als halte der Wald den Atem an. Martin gefiel diese Stille nicht. Er machte vorsichtig einen weiteren Schritt, um wenigstens das Geräusch seiner Sandalen auf dem Waldboden zu hören.
Da geschah es.
Plötzlich war alles Aufruhr und Geschrei. Er hob die Hände abwehrend vors Gesicht. Etwas zischte ihn an. Blätter wirbelten auf. Gekreisch. Eine Hexe! Die teuflischen Mächte! Er war in ihr Gebiet eingedrungen! Das Gekreisch erhob sich über ihn, ein Ast schlug ihm gegen die Wange. Er sank auf die Knie. »Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name …« Dann vergrub er das Gesicht in den Händen. Das Gekreisch entfernte sich; Stille floss zurück in das leere Becken der Nacht. Martin wagte es, den Kopf zu heben. Dort oben war es.
Es flog immer höher, hinauf zu den sternumkleideten Wipfeln, und war schließlich aus seinem Blickfeld entschwunden. Dem Umriss nach mochte es eine große Eule gewesen sein, die er durch sein Umhertappen aufgescheucht hatte, doch wer vermochte zu sagen, dass es nicht ein grässlicher, geflügelter Teufel gewesen war, den Martins Gebet vertrieben hatte? Aber tief in seinem Innern wusste er, dass es nur eine ganz gewöhnliche Eule gewesen war, so wie man sie manchmal im Gebälk der Klosterscheune beobachten konnte.
Nur langsam beruhigte sich Martins Herz wieder. Er stand mit zitternden Beinen auf und musste sich am glatten Stamm einer gewaltigen Buche festhalten, damit er nicht umkippte. Kalter Schweiß tropfte ihm aus den Haaren und kitzelte Nase und Wangen. Er atmete erleichtert auf.
Das Mondlicht warf winzige Inseln aus Silber zwischen die dicht beieinanderstehenden Stämme und schmückte die Spitzen der Bäume mit glänzendem Geschmeide. Die Schwärze der Nacht reckte sich hoch zum kalten, falschen Licht der Sonne der Finsternis und ihren unzähligen Kindern, den Sternen.
Und nun raschelte etwas irgendwo in der silbergespickten Dunkelheit vor ihm. Schon raste sein Herz wieder, doch er versuchte seine Angst zu bekämpfen. Es wird nur ein Waldtier sein, das ich aufgeweckt habe, sagte er sich. Ein Waldtier wie die Eule. Die Welt ist nicht voller Teufel, wie Pater Hilarius immer sagt.
Oder doch?
Im ungewissen Schein des Mondes erkannte er, dass sich etwas zwischen den Stämmen vor ihm bewegte. Es war noch viele Ellen entfernt, doch es schlich aufrecht wie ein Mensch. War es etwa eine der Gestalten, die er vorhin auf der Straße gesehen hatte? Hatte sie seine Spur aufgenommen? Wenn ja, dann konnte es kein Mensch sein. Kein Mensch hätte ihn hier zwischen den Bäumen und Gebüschen entdecken können, kein Mensch, der nur auf seine unvollkommenen, von der Nacht betäubten Sinne angewiesen war …
Doch wo war der andere? Zuvor auf der Landstraße hatte er zwei Umrisse gesehen. Kesselten sie ihn nun ein? Martin warf den Kopf herum. Hinter sich konnte er nichts Verdächtiges sehen. Er schaute wieder gebannt nach vorn.
Die Gestalt näherte sich ihm sehr langsam und keinesfalls auf geradem Wege. Es war, als schleiche sie auf einem gewundenen, unsichtbaren Pfad dahin. Vielleicht hatte sie den Mönch noch gar nicht bemerkt. Vielleicht war es ja auch gar kein Mensch. Aber welches Tier lief auf zwei Beinen?
Martin spürte, wie ihm erneut der Schweiß ausbrach. Instinktiv wich er zurück, drückte sich an dem glatten Baumstamm vorbei, wollte so viel Raum wie möglich zwischen sich und diese suchende Gestalt bringen. Dabei trat er auf einen trockenen Ast, der mit einem scharfen Geräusch wie ein Peitschenknall zerbrach.
Martin gefror in seinen Bewegungen. Die Gestalt hielt ebenfalls inne; es war, als spähe sie angestrengt durch die Dunkelheit.
Und dann sah er die anderen Schemen.
Sie schienen aus den Bäumen herauszuwachsen. Sie bewegten sich lautlos. Sie bildeten einen Kreis um ihn.
Von allen Seiten kamen sie nun auf ihn zu. Und sie veränderten sich. Ihre Schatten schrumpften zusammen, zogen sich in die Länge, schmolzen zu den Umrissen von Tieren zusammen. Und als der leise, klagende, lang gezogene Laut ertönte, wusste Martin Bescheid.
Das Jaulen eines Wolfes.
Aber er hatte doch genau gesehen, dass die Wölfe vorhin auf zwei Beinen gegangen waren! Es konnte sich also nicht um richtige Wölfe handeln, sondern um – Werwölfe. Wie viele Geschichten hatte er aus dem Mund des Paters Hilarius über diese verderbten, dem Teufel verfallenen Geschöpfe gehört! Es waren Zauberer und Hexen,
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