Der schwarze Atem Gottes
Es war ein Trakt, der verlassen und trostlos gewirkt hatte. Doch vorrangig war nun die Beschaffung des Schlüssels.
Die zweite Tür war zwar geschlossen, jedoch nicht verriegelt. Das Gemach dahinter glich dem ersten vollkommen: nackte Wände, die mit wenigen Gobelins bedeckt waren, ein Kamin, einige Stühle, ein Stollenschrank. Renatas Stimme kam näher. Als er zur dritten Tür gelangte, hielt er inne und lauschte. Dahinter mussten sie sich befinden. Er hörte das Kichern Renatas, das mit wolllüstigem Stöhnen durchsetzt war, und das dunkle Ächzen des Grafen. Martin verspürte ein seltsames Kribbeln in der Leistengegend. Er bückte sich und schaute durch das Schlüsselloch.
Es steckte kein Schlüssel darin, doch der dunkle Ausschnitt des Zimmers, den Martin mit Mühe erkennen konnte, war leer. Ihm blieb daher nichts anderes übrig, als vor der Tür zu hocken und darauf zu warten, dass Renata dem Grafen das Pulver verabreichte, das Federlin ihr gegeben hatte.
Federlin … Spielte Federlin ein doppeltes Spiel? Würde das Pulver, dass er Renata gegeben hatte, überhaupt wirken? Oder würde es sich gegen sie wenden, gegen sie alle, und sie ins Verderben stürzen?
Das Innere des Zimmers hinter der verschlossenen Tür wurde heller. Zuerst verstand Martin den Grund dafür nicht, doch als er sich zum Fenster des Gemachs umdrehte, in dem er hockte, erkannte er, dass der Mond aufgegangen war. Er hing rot und rund wie das blutunterlaufene Auge eines Zyklopen dicht über den Wipfeln der fernen Bäume jenseits der tiefen Schlucht und tauchte die Welt in ein unirdisches Licht. Das Gejohle draußen wechselte sich mit atemlosem Schweigen ab; das Spiel vom Antichrist näherte sich seinem Höhepunkt.
Hinter der Tür knarrte ein Bett. Martin hörte die spitzen Schreie Renatas und das dumpfe Gebrüll des Grafen. Immer schneller wurde das Knarren, immer abgehackter das Lustgestöhn. Martin wich von der Tür zurück. Es war einfach unerträglich. Er stand auf und bemerkte mit Schrecken, dass sich seine Kutte vorn wölbte. Warum gab Renata dem Grafen nicht endlich das Schlafmittel? Musste sie denn unbedingt erst ihre viehische Lust stillen?
Es war wie eine Raserei hinter der Tür. Wilde Bilder gaukelten durch Martins Gedanken, und immer war es Maria, um die sich diese Bilder gruppierten. Er verabscheute sich selbst. Bei seinem Eintritt ins Kloster Eberberg hätte er es nie für möglich gehalten, dass einmal ein Angriff auf seine Gelübde stattfinden würde. Zwar hatte er mit den Anfechtungen des Teufels gerechnet, nicht aber mit Anfechtungen des gewöhnlichen Lebens. Er keuchte und versuchte, seine stocksteife Rute zwischen die Beine zu quetschen.
Gerade als es ihm gelungen war, sich ein wenig zu entspannen, fielen Schweigen und Stille wie ein Sturzbach über ihn.
Er lief zurück zur Tür und legte das Ohr daran.
Nichts.
Nichts?
Ein Rascheln, ein Klirren. Dazwischen Schweigen. Martin fuhr von der Tür zurück. Jetzt sah er im roten Licht des Mondes und der Fackeln, wie sich die Türklinke bewegte; sie wurde so langsam heruntergedrückt, als wolle derjenige hinter der Tür einen Überraschungsangriff führen. Martin wich noch etwas weiter in den kahlen, kalten Raum zurück.
Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, dann unendlich langsam noch etwas weiter. Ein Gesicht schaute hinter ihr hervor.
Renatas Gesicht.
Martin stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Nun hatte Renata ihn gesehen und stieß die Tür rasch ganz auf. In der Hand hielt sie einen glänzenden, leise klirrenden Schlüsselbund.
Sie trug nichts weiter.
Alle Versuche Martins zur Selbstkasteiung brachen in sich zusammen. Er trank Renatas Körper mit seinen Blicken: ihre kleinen, festen Apfelbrüste, ihre weichen Hüften, ihren süßen Bauchnabel, das schwarze Vlies zwischen ihren Beinen, das den Kirchenvätern zufolge der bevorzugte Aufenthaltsort des Teufels war – aber wie konnte der Teufel in einem so vollkommenen, schönen, atemberaubenden Körper hausen? Renata bemerkte seine hungrigen Blicke und ging mit wiegenden Schritten auf ihn zu. Sie hielt den Schlüssel hoch und klimperte leise damit. »Hier, mein lieber kleiner Mönch, hast du, was du haben wolltest. Der Graf schläft tief und fest, sehr lange noch. Es wäre noch etwas Zeit.« Nun stand sie vor ihm. Er roch sie und schloss die Augen.
»Zeit?«, fragte er verwirrt.
»Zeit für uns.«
Er atmete tief durch, dann
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