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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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markerschütternde Grimassen; da man sich inzwischen wieder in katholischem Gebiet befand, wurde aus dem Papst der selig verstorbene Martinus Luther, den Klaus in seiner gewohnt derbkomischen Manier darstellte. Die Zuschauer klatschten sich vor Vergnügen auf die Schenkel. Auch Graf Albert schien sich köstlich zu amüsieren. Er hatte den Arm um Renata gelegt, und sie kuschelte sich gegen seine schmale Schulter. Die Pfauenfeder an seiner kostbaren Kappe nickte auf und ab, als wolle auch sie dem Stück Beifall spenden. Es war dieselbe Kappe, die er bei seiner ersten Begegnung mit den Mönchen in Volkach getragen hatte. Wie lange war das nun schon her? Martin erschien es, als sei es in einem anderen Leben gewesen.
     
    Er stand in der letzten Reihe; neben ihm amüsierten sich einige Knappen, die nur ein Auge für die Bühne hatten, besonders da nun Walpurg und Anna auftraten und nicht gerade mit ihren Reizen geizten. Sie verführten Klaus Luther, Adam Melanchthon und Barthel Calvin auf eine Weise, die die Augen des männlichen Publikums feucht werden ließen.
     
    Manchmal wurden der Graf und Renata von den Rücken der hinter ihnen Stehenden verdeckt, doch die Pfauenfeder ragte über die Köpfe der anderen hinaus und zeigte den Standort des Adligen unfehlbar an. Martin schaute allerdings immer seltener auf sie und immer öfter hoch zur Bühne. Was dort nun vor sich ging, konnte man nur als unzüchtig bezeichnen. Gerade wurde einem Mönch, der sich zum lutherischen Glauben bekannt hatte, auf sehr fleischliche Weise die Seele geraubt. Auch dieser Mönch wurde von dem heftigst grimassierenden Klaus dargestellt, der seine Rolle sichtbar genoss. Doch da durchfuhr es Martin wie ein versengender Feuerstrom.
     
    Was war, wenn der Graf auf Martins Auftritt wartete? Schließlich war er dem Grafen ebenfalls als Schauspieler vorgestellt worden. Was war, wenn Graf Albert nun langsam das abgekartete Spiel durchschaute? Wenn er doch endlich dem Zauber Renatas erliegen würde! Sehr lange dauerte das Spiel vom Antichrist und seinem Wüten auf Erden nicht mehr. Bald würde sich der mutige Bauer in Gestalt von Adam Desch den Abgesandten der Hölle entgegenwerfen und den letzten Kampf ausfechten …
     
    Martin schaute wieder dorthin, wo Albert von Heilingen stand.
     
    Wo er gestanden hatte!
     
    Die Pfauenfeder war verschwunden, und auch von Renata war keine Spur mehr zu sehen. Martin lief hinter den Reihen der Zuschauer her und auf das Burgportal zu. Er sah gerade noch, wie es von innen geschlossen wurde. Hastig warf er einen Blick zurück auf die Bühne und die gaffenden und vor Lust kreischenden Menschen. Niemand beachtete ihn. Rasch drückte er das Portal auf.
     
    Pechfackeln tauchten die große Halle in ein Meer aus Glut und Schatten. Über sich hörte er lautes Kichern. Renatas Kichern. Sie musste zusammen mit dem Grafen die breite Treppe hochgestiegen sein und sich inzwischen in einer der Zimmerfluchten des ersten Stocks befinden. So leise wie möglich huschte Martin die Treppe hoch. Rechts und links zweigten die Gemächer ab; eines ging in das andere über. Die Tür zur Rechten war verschlossen und verriegelt. Martin biss sich vor Verzweiflung und Wut auf sich selbst in die Handknöchel. Was nun? Waren sie in dieser abgesperrten Flucht? Dann würde er nie an den Schlüsselbund des Grafen herankommen! Warum hatte Renate ihn nicht davon abgehalten, die Tür zu verriegeln?
     
    Die Schatten, die hier oben noch tiefer und dichter waren, schienen ihn zu verspotten. Es war, als öffneten sie ihre Mäuler, um ihn zu verschlingen. Angestrengt lauschte er in die Dunkelheit hinein. Hinter der verschlossenen Tür drang kein Geräusch heraus.
     
    Wie still es hier war! So still, als sei die Welt draußen verschwunden. Doch da brandete plötzlich Gelächter von irgendwoher auf wie die Wogen eines unsichtbaren Ozeans. Und in dieses Gelächter mischte sich eine einzelne Stimme, die darüber schwebte und wie ein Vogel über ihr kreiste. Renatas Gelächter! Und es drang aus der anderen Flucht herüber – aus jener, deren erste Tür offen stand und geradewegs in die dunklen Windungen des alten Gemäuers führte.
     
    Nirgendwo gab es Licht an den Wänden. Zögernd betrat Martin das erste Zimmer. Die einzige Beleuchtung kam von draußen, von den zuckenden Flammen der vielen Pechfackeln, die die Bühne auf dem Vorplatz beleuchteten. Also befand er sich an der Vorderseite der Burg. Er versuchte sich zu erinnern, wo Hilarius festgehalten wurde.

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