Der schwarze Atem Gottes
Burg.
Plötzlich packte Hilarius Martin am Arm und hielt ihn zurück. »Hütlein!«, zischte er. »Da vorn! Einer der Mörder. Einer der schlimmsten.« Martin sah die mittelgroße Gestalt mit dem riesigen Schwert, das sie wie ein Spielzeug durch die Luft schleuderte. Hütlein stand an einem der Fenster und wollte sich gerade nach den beiden herannahenden Mönchen umdrehen, als Pfäfflein auf ihn zukam und sich lobend über die gelungene Aufführung äußerte. Martin und Hilarius zogen sich langsam und beinahe lautlos zurück in einen kleinen Vorraum, aus dem eine niedrige Tür mit einem gewaltigen Sturz darüber zu einem der Treppentürme führte. Martin drückte an der Klinke herum, doch die Tür war verschlossen. Er holte den Schlüsselbund heraus und probierte die Schlüssel nacheinander aus.
Die beiden Spießbuben konnten sie nicht sehen, aber plötzlich kamen
ihre Stimmen näher.
»Diese Blonde hat mir ausnehmend gut gefallen«, sagte Hütleins Stimme. »Werde sie morgen mal besuchen und ihr etwas zeigen, was sie bestimmt noch nie gesehen hat. Wird sie wohl zufriedenstellen. Ich rieche, dass sie’s braucht. Ein Mann ist sicherlich zu wenig für sie.« Er lachte auf, und auch die andere Stimme fiel in das Gelächter ein.
Endlich hatte Martin den richtigen Schlüssel gefunden. Er entriegelte die Tür und wollte sie aufstoßen.
Aber sie gab unter seinem Druck nicht nach. Entsetzt stemmte er sich gegen sie. Die Stimmen kamen näher. »Nun mach doch schon!«, zischte Hilarius nervös. Martin warf sich mit aller Kraft gegen die Tür.
Knirschend fiel sie nach innen auf.
»Was war das?«, sagte Hütleins Stimme hinter der offenen Tür des angrenzenden Raumes.
»Keine Ahnung«, meinte die andere Stimme. »Wir sollten mal nachsehen.«
In letzter Sekunde taumelten Hilarius und Martin durch die Tür in den engen Treppenturm; sie hasteten einige Stufen auf der steilen Wendeltreppe nach unten, bis sie das Licht, das durch die Tür in den finsteren Rundturm sickerte, nicht mehr sehen konnten. Dann blieben sie stehen und hielten den Atem an.
Sie hörten, wie sich jemand oben an der Tür zu schaffen machte. »Hallo?«, ertönte Pfäffleins Stimme. »Ist da jemand?«
Dann betrat jemand die Treppe und ging zunächst einige Schritte nach oben, danach einige nach unten. Dann hielten die Schritte inne. »Hallo?« Diesmal war es Hütleins Stimme. Sie klang bedrohlich nahe.
Wenn doch nur mein Herz nicht so entsetzlich laut schlagen würde!,
dachte Martin verzweifelt.
»Ist da etwas?«, fragte Pfäffleins Stimme von weiter oben.
»Ich rieche Angst«, antwortete ihm Hütlein. »Hier stimmt etwas nicht.«
»Vielleicht war es eine Ratte«, meinte Pfäfflein. »Komm endlich hoch. Wir haben noch viel zu tun, bevor wir uns mit diesem Pfaffenschwanz auf die Reise machen.«
»Am liebsten würde ich mir seine Seele zum Frühstück nehmen«, knurrte Hütlein.
»Das wird der Graf dir wohl kaum erlauben. Und jetzt komm endlich.«
Hütlein gab ein unwilliges Brummen von sich. Da erschütterte ein Schlag die Treppe, und Funken durchstoben die Dunkelheit. Offensichtlich hatte Hütlein mit seinem Schwert aus Unmut auf die Stufen eingedroschen. Jetzt entfernten sich die Schritte nach oben. Dann wurde die niedrige Tür so heftig ins Schloss gezogen, dass die ganze Treppe zu wackeln schien. Martin und Hilarius atmeten auf. »Mir scheint’s, Ihr habt doch die richtige Entscheidung getroffen habt, nicht wahr?«, sagte Martin, während sie tastend und tappend die enge Treppe hinunterliefen.
Hilarius gab keine Antwort darauf.
Schließlich ertastete Martin eine weitere verschlossene Tür. Nach wenigen Versuchen hatte er sie mit seinem Schlüsselbund geöffnet, und sie standen im Freien. Martin sah sich erstaunt um. Sie waren hinter der Bühne herausgekommen, die bereits von den Schauspielern abgebaut wurde. Auch die Frauen halfen tatkräftig mit, und Martin sah voller Freude, dass Renata ebenfalls unter ihnen war. Sie hatte es offenbar geschafft, unerkannt aus den Gemächern des Grafen zu entkommen. Da aber noch viele Zuschauer auf dem Kiesplatz standen und den Schauspielern beim Abbauen der Bühne zusahen, war es zu gefährlich, geradewegs an ihnen vorbeizulaufen, um zum Park zu gelangen. Also blieb Hilarius und Martin nichts anderes übrig, als die Burg in der anderen Richtung zu umrunden.
Der Mond stand inzwischen merklich höher und war nicht
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