Der schwarze Ballon
Sie bei der Testamentsverlesung sahen. Nicht wahr, Vater?« Bradley nickte und schlürfte Tee. Sie fuhr fort: »Brad und ich wollen, daß der Mörder gefunden und bestraft wird.« Eine Bö heißer Sommerwind fuhr über die Veranda und ließ den Schaukelstuhl, von dem Anne gerade aufgestanden war, leise knarren.
Ich sagte: »Danke, Mrs. Beatrice.«
Anne sagte: »Möchten Sie ein Glas Eistee? Ich hab’ drinnen noch einen ganzen Krug.«
Skip sagte: »Ich hätte gern etwas, Mrs. Beatrice. Ich hab’ eine ganz trockene Kehle von der Fahrt.« Bradley spitzte die Lippen und — das deutlichere Zeichen von Mißfallen — zog eine Augenbraue hoch.
Anne bat uns, ihr ins Haus zu folgen. Skip blubberte was von spitzenmäßigem Grün und wunderbar frischer Luft, und Anne lächelte geduldig. Sie führte uns durch ein Labyrinth von antiken Eichen- und Ahornmöbeln ins Wohnzimmer. Eine Brise ließ die Spitzengardinen leise rascheln. Als sie in der Küche war, zischte ich Skip ins Ohr: »Halt verdammt noch mal den Mund, Giddy. Ich führe diese Ermittlung durch. Merkst du denn nicht, daß du die Leute vergraulst? Was zum Teufel ist bloß in dich gefahren?«
Er flüsterte: »Ich glaube, ich kann hier durchaus einen positiven Beitrag leisten. Ich hab’ schon immer gewußt, daß ich was von einem Detektiv in mir habe.« Noch so ein Wandschrankschnüffler. Eines war klar: eine schlichte Bitte würde nichts nützen. Ich machte ihm daher folgendes Angebot: das Blaskonzert seines Lebens, wenn er für den Rest unseres Besuches die Klappe hielt. Er willigte sofort ein.
Anne kam mit einem Tablett mit Gläsern herein. Sie setzte sich auf die Paisley-Couch und sagte: »Sehen Sie die Urne dort auf dem Kaminsims?« Wir guckten. Sie war aus Porzellan und auf eine gediegene Neuengland-Weise schön. Ich nickte. Sie sagte: »Das ist Belle. Brad ist sehr bestürzt über das, was passiert ist. Er mag auch Fremde nicht sehr. Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns nicht in seiner Gegenwart über das Thema unterhalten. Zucker oder Milch?«
Ich sagte: »Ich trink’ ihn so.« Skip nahm beides. Ich trank einen Schluck und genoß den bitteren Geschmack des Eistees. Ich hatte jedoch Schwierigkeiten, Anne zu schlucken. Ihre Höflichkeit schmeckte nach künstlichem Süßstoff.
»Nun, wie kann ich Ihnen helfen?« fragte sie.
Ich sagte: »Ehrlich gesagt, Mrs. Beatrice, ich weiß eigentlich nicht genau, wonach ich suche. Alles, woran Sie sich erinnern, könnte uns weiterhelfen. Wissen Sie, ob Belle irgendwelche Feinde oder Feindinnen von früher hatte, irgendwelche offenen alten Rechnungen?«
Sie sagte: »Belle hatte keinen sehr guten Draht mehr zu Vater und mir, seit sie den Midnight aufgebaut hatte. Brad haßte das Blatt, und ich — nun ja, ich mochte es auch nicht sehr. Ich weiß Bescheid über Befreiung, einschließlich sexuelle Befreiung. Aber wir sind wohl einfach aus einer anderen Generation.« Sie bot uns getrocknete Äpfel von einem Tablett an, das mit Äpfeln bemalt war. Skip mampfte ein paar. Solange er ißt, hält er wenigstens den Mund, dachte ich. Anne fuhr fort: »Wir haben uns nie wirklich gestritten wegen der Zeitschrift. Das ist nicht unsere Art. Aber Vater und ich haben Belle zu verstehen gegeben, daß wir dagegen waren.« Ihre gezierte Sprechweise trieb mich auf die Kante der Couch.
Ich sagte: »Wie haben Sie das gemacht?«
»Entschuldigung, wie meinen Sie das?«
»Wie haben Sie Belle klargemacht, daß Sie etwas gegen die Zeitschrift hatten, ohne es ihr zu sagen?«
Annes Wangen erröteten. Sie sagte: »Es war nicht so, daß wir sie es nicht hätten wissen lassen — wir... wir haben halt nicht mit ihr darüber gesprochen.«
Belle hatte also über übersinnliche Wahrnehmung verfügt.
»Sie und Belle haben also nicht miteinander gesprochen?« fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Nein. Wir haben oft miteinander gesprochen. Wir haben nur nicht auf eine bestimmte Weise mit ihr gesprochen.«
»Belle hat immer sehr nett von Ihnen erzählt«, log ich.
Skip sagte leise: »Und sie hat Ihnen all die schönen Sachen vermacht.« Sie wandte sich zu ihm und spitzte den Mund. Dieser verdammte Pappkopf.
Anne sagte: »Brad und ich waren davon sehr überrascht. Wir haben bereits beschlossen, das meiste davon wegzugeben. Ein paar persönliche Dinge werden wir natürlich behalten. Aber wir sind finanziell abgesichert, und wir fühlen uns in New York City oder in den Hamptons nicht wohl. Wir lieben unser beschauliches Leben hier
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